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Klimaschutz

Zukunftsweisend?

Von und

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Übersetzt von Sarah Podszuck.

In den letzten Jahren kam der Klimaneutralität zunehmend Aufmerksamkeit zu. Von ihr ausgehend wird diskutiert, von wem (Individuum, Organisationen oder Staaten) und vor allem wie Verantwortung für den Klimaschutz übernommen werden kann. Klimaneutralität bezieht sich auf Dienstleistungen und Produktionsprozesse, die entweder gar keinen Ausstoß von CO₂ oder anderen Treibhausgasen verursachen, oder deren Emissionen kompensiert werden. Die Kompensation erfolgt jedoch erst dann, wenn zunächst ein angemessener Versuch unternommen wurde, die Emissionen zu reduzieren. Das Mantra der Klimaneutralität bringt es auf den Punkt: »reduce what you can, offset the rest«.

Aber sollte Klimaneutralität überhaupt als ein mögliches Ziel im Zusammenhang mit Klimaschutz definiert werden? Besteht nicht auch die Gefahr, dass die wohlhabenden Staaten nur vorgeben, ihre Emissionen zu reduzieren? Und ist das Ziel einer Null-Emission nicht eine Utopie, die von der politischen Diskussion einer fairen Verteilung von Emissionen ablenkt? Die Fragen verweisen auf die politischen Risiken, die mit Klimaneutralität einhergehen. Daher soll im Folgenden das Klimaneutralitätsziel erst begründet und dann anhand der Universität Greifswald konkret diskutiert werden – als Beispiel für die Rolle von Klimaneutralität als Teil einer umfassenderen Klimapolitik in reichen, demokratischen Ländern.

Sieben Gründe für Klimaneutralität

Es gibt wirtschaftliche, moralische und ethische Gründe für Klimaneutralität:

1. Effizienz: Klimaneutralität trägt durch ihren Anspruch auf Verringerung von Emissionen dazu bei, die Effizienz unseres Ressourcenverbrauchs zu überdenken. In Zeiten steigender Ressourcenpreise sollte diese Möglichkeit, Geld zu sparen, nicht ignoriert werden. An der Universität Greifswald entfiel beispielsweise 2013 zum ersten Mal knapp die Hälfte des Haushalts (49 Prozent) auf die Energiekosten.

2. Moralisches Handeln unter Bedingungen politischer Unsicherheit: Internationale Klimaverhandlungen werden bekanntermaßen häufig blockiert. Aber wir können nicht auf den Abschluss dieser Verhandlungen warten, wenn in der Zwischenzeit der »Patient Erde« stirbt. Klimaneutralität ist ein Schritt in die richtige Richtung.

3. Globale Gerechtigkeit und Klima: Gerechtigkeit verdient angesichts der wirtschaftlichen Globalisierung und ihrer Verlierer besondere Aufmerksamkeit. Schließlich sind es die Armen, die am stärksten von den negativen Folgen des Klimawandels betroffen sind. Wenn die Reichen klimaneutral wirtschaften, reduzieren sie ihre Emissionen und übernehmen zugleich Verantwortung für vergangene Emissionen, die den Industrienationen zum Erreichen des gegenwärtigen Wohlstandsniveaus verholfen haben.

4. Menschenrechte und Artenschutz: Klimaveränderungen beeinträchtigen teils gravierend Menschenrechte, wie das Recht auf Leben und Gesundheit. Solange im Zuge des Implementierungsprozesses nicht selbst Menschenrechte verletzt werden, ist Klimaneutralität eine zulässige Strategie zur Sicherung der Menschenrechte. Sie ist die Strategie, die die Risiken des durch den Menschen verursachten Klimawandels auf die radikalste Weise reduziert. Dieses Argument wiegt umso stärker, wenn auch der umweltethische Aspekt berücksichtigt wird. Viele Umweltethiker/-innen weisen darauf hin, dass nicht nur der Mensch, sondern auch andere Lebewesen vom Klimawandel betroffen sind. Dies zwingt beispielsweise viele Arten zur Abwanderung und reduziert weiter die biologische Vielfalt, wenn Arten eine ausreichend schnelle Gewöhnung an veränderte Lebensumstände nicht gelingt.

5. Notwendigkeit politischer Maßnahmen: Selbst wenn statt einer Nullemission »nur« eine weltweit gleiche Pro-Kopf-Emission als globaler Gerechtigkeitsstandard gefordert wird, wird es dennoch für viele Menschen im globalen Norden schwierig sein, diesem Standard zu entsprechen. Das für einen effektiven Wandel notwendige Wissen und die entsprechenden Fähigkeiten sind für Organisationen viel schneller verfügbar und haben unmittelbar eine größere Wirkung. Eine Klimaneutralitätspolitik auf dieser Ebene könnte daher für Individuen, die sonst unter einem weitaus größeren Druck stehen würden, ihren Einsparungsanteil zu erreichen, eine Entlastung darstellen.

6. Neutralität und Lebensstile: Liberale Gesellschaften tendieren zu CO₂-intensiven Lebensstilen. Lebensstile mit niedrigen CO2-Emissionen werden in diesen Gesellschaften an den Rand gedrängt. Da sich liberale Gesellschaften dem Ziel verpflichtet fühlen, verschiedenen Lebensstilen gleiche Möglichkeiten zu bieten, bedarf es einer besonderen Anstrengung, um auch Null- oder Niedrigemissions-Lebensstilen am Rande der Gesellschaft einen Raum zu bieten.

7. Tugend: Tugend ist die Einstellung eines Individuums oder einer Organisation, zuverlässig Gutes zu tun. Universitäten als Einrichtungen der Forschung und Bildung sollten eine Führungsrolle übernehmen, wenn es um die Beschäftigung mit dringenden sozialen Herausforderungen, wie z.B. dem Klimawandel, geht, die sowohl intellektuell herausfordernd als auch moralisch bedeutsam sind. So übernehmen sie Verantwortung in unsicheren Zeiten und beweisen dadurch ihre Exzellenz.

Zusammengefasst ist Klimaneutralität also eine Strategie um die Menschenrechte zu schützen, und mit deren Hilfe die Wohlhabenden dieser Welt Verantwortung übernehmen können. Dabei bietet es sich in diesen Ländern besonders an, Klimaneutralität auf der nationalen Ebene und auf der Ebene der Organisationen anzustreben: für die »Work-Life-Balance« und für die Ermöglichung von CO₂-armen Lebensstilen. Tugendhafte Organisationen können diesbezüglich eine Führungsrolle übernehmen, oder um es mit den Worten von David Orr zu sagen: »Understand the truth, and act nobly.«

Fallstudie: CO₂-neutrale Universität Greifswald

Im Leitbild der Universität Greifswald wird das Ziel der CO2-Neutralität als ein Teilprozess hin zu einer umweltgerechten Universität genannt. Zu diesem Zweck wurden die CO₂-Emissionen durch Strom- und Wärmeverbrauch sowie durch Dienstreisen und Fuhrparknutzung ermittelt. Im Jahr 2011 hat die Universität etwa 8.985 Tonnen CO₂ verursacht, wovon knapp die Hälfte auf den universitären Stromverbrauch und ein Achtel auf Dienstreisen mit dem Flugzeug zurückzuführen sind.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Reduktion der CO2-Emissionen an der Universität: die Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden, Computern oder anderen Arbeitsmitteln, die Änderung des eigenen Verhaltens im Umgang mit Energie oder die Nutzung von emissionsarmen Alternativen (z.B. die Umstellung der Energieversorgung auf emissionsarme Stromprodukte oder das Reisen per Bahn statt per Flugzeug). Beispielsweise würde die Umstellung auf ein umweltfreundliches, emissionsarmes Stromprodukt die CO2-Emissionen der Universität um 4.000 Tonnen pro Jahr reduzieren, der Umstieg vom Flugzeug auf die Bahn bei Strecken von weniger als 800 Kilometern Entfernung würde eine Einsparung von weiteren 53 Tonnen CO2 pro Jahr ermöglichen, und durch eine Sensibilisierung für den eigenen Energieverbrauch und ein entsprechendes Coaching der Universitätsbeschäftigten und Studierenden zur Energieeinsparung könnten weitere 337 Tonnen CO2-Emissionen im Jahr eingespart werden. Mittels dieser und weiterer eigener Anstrengungen könnte somit knapp die Hälfte der derzeitigen CO2-Emissionen vermieden werden.

Die noch verbleibenden 4.319 Tonnen CO2 pro Jahr könnte die Universität lokal mit Hilfe ihrer eigenen Ökosysteme kompensieren. So wurde beispielsweise abgeschätzt, wie viel Kohlenstoff im Universitätsforst zusätzlich gespeichert werden könnte, wenn man die jährliche Holzentnahme verringerte. Würden beispielsweise 25 Prozent weniger Holz im Jahr entnommen, dann erhöhte sich der Kohlenstoffspeicher um 4.916 Tonnen pro Jahr; würden 40 Prozent weniger entnommen, würde sich der Kohlenstoffspeicher sogar um 8.503 Tonnen pro Jahr erhöhen.

Das Konzept der CO₂-neutralen Universität Greifswald geht davon aus, dass das Ziel mittels einer 50/50-Strategie erreicht werden könnte: 50 Prozent der Emissionen ließen sich durch die Reduzierung und Substitution von Energie- und Wärmeverbrauche vermeiden, die restlichen könnten mit Hilfe einer veränderten Waldbewirtschaftung in den eigenen Ökosystemen langfristig gebunden werden. Das Konzept sieht darüber hinaus vor, dass die Kompensationsprojekte im Universitätsforst durch Forschungsprojekte und fächerübergreifende Lehrveranstaltungen zum Themenfeld der CO₂-neutralen Universität ergänzt werden.

CO₂-Neutralität – ein unsoziales Ziel?

Diese Frage ist alles andere als nebensächlich. CO₂-Neutralität bietet sowohl Ansätze für weitere Forschungsaktivitäten und interdisziplinäre Lehrveranstaltungen als auch einen aktuellen Anlass, über die (Klima- und Umwelt-)Verantwortung von Universitäten nachzudenken. Ein kontroverses Themenfeld, denn das Konzept der CO₂-neutralen Universität Greifswald wurde in einer Senatsdiskussion als »unsozial« bezeichnet.

Anhand der oben angeführten Gründe für Klimaneutralität und des konkreten Konzepts der Universität ist es möglich, den Vorwurf wie folgt zu bewerten: Das Konzept ist dann unsozial, wenn 1.) Klimaneutralität nur Verrechnung und nicht Reduktion bedeutet. In diesem Fall scheint es angemessen, von »Greenwashing« zu sprechen, also von ökologischer Schönfärberei. Es ist allerdings offensichtlich, dass dies im vorgestellten Konzept nicht der Fall ist, denn hier wird eine Reduktion der CO2-Emissionen um 50 Prozent angestrebt. Dies ist zwar ein ambitioniertes, aber durchaus erreichbares Ziel, wenn sich die gängige Praxis zum Umgang mit dem Energieverbrauch an der Universität ändert.

Das Konzept ist auch dann unsozial, wenn 2.) die Fokussierung auf Nullemissionen genutzt wird, um sich der globalen Diskussion um den Klimaschutz zu entziehen. Die obigen Ausführungen zeigen jedoch, dass der ethische Sinn von Klimaneutralität gerade dann greifbar wird, wenn diese als Teil einer globalen Herangehensweise gesehen wird, genauer: als die Übernahme von Verantwortung durch die wohlhabenden, demokratischen Gesellschaften und ihrer Organisationen.

Das Konzept kann 3.) als unsozial bezeichnet werden, weil sich in der Fallstudie gezeigt hat, dass Kompensation teilweise abhängig von Landbesitz ist. Vor diesem Hintergrund könnte argumentiert werden, dass dies im Greifswalder Fall ein unverdientes Glück bedeutet: Nur wenige Organisationen besitzen Waldflächen. Daher könne dieses Konzept nicht verallgemeinert werden. Darüber hinaus führe die veränderte Nutzung der universitätseigenen Wälder (durch den verminderten Verkauf von Holz) zu einem Einnahmeverlust von circa 218.000 Euro pro Jahr. Dieses Geld könnte wesentlich nützlicher für Studierende und Forschende investiert werden. Wie ist dieser Einwand einzuschätzen?

Eines wird deutlich: CO₂-Neutralitätskonzepte sind ortsabhängig.

Eines wird deutlich: CO₂-Neutralitätskonzepte sind ortsabhängig. Generalisierungen hinsichtlich der Übertragungsmöglichkeiten auf andere Standorte sollten vermieden werden. Im Hinblick auf Greifswald als Standort mit vielen Ländereien kann geschlussfolgert werden: Die Universität sollte sich schneller in Richtung CO₂-Neutralität bewegen, da es für sie besonders einfach ist, dieses Ziel zu erreichen. Andere müssen dafür wesentlich mehr Aufwand betreiben.

Darüber hinaus sollte eine weitere Frage diskutiert werden: Ist die Summe von 218.000 Euro pro Jahr zu hoch, um ein Kompensationsprojekt lokal umzusetzen? Internationale Organisationen, wie beispielsweise Prima Klima e.V., berechnen »nur« 75.000 Euro pro Jahr, um das Kompensationsziel von jährlich 5.000 Tonnen CO2 anderswo kostengünstiger zu erreichen. Laut eines aktuellen Berichts benötigte ein nach höchsten Standards zertifiziertes Projekt im Jahr 2013 circa 8,50 US-Dollar je Tonne kompensierter CO₂-Emission.8 Für den Umfang der Universität Greifswald, nämlich 5.000 Tonnen CO₂-Emission im Jahr, würde dies ein Projektvolumen von 42.500 US-Dollar bzw. 38.500 Euro bedeuten (Umrechnungskurs: 1 US-$ = 0,90 €).

Auch wenn lokale Kompensationsprojekte derzeit teurer sind als Projekte im Ausland, lassen sich doch einige Vorteile der lokalen Kompensation herausstellen. Aus der Ferne lässt sich wesentlich schwieriger überprüfen, ob die jeweiligen Projekte wirklich zu zusätzlicher Kohlenstoffspeicherung führen oder ob sie nicht negative soziale beziehungsweise ökologische Konsequenzen andernorts nach sich ziehen. Genau das ist aber ein zentraler Aspekt vieler Bedenken gegenüber der Kompensation von Emissionen im »fernen« Ausland. Lokale Kompensation lässt sich hingegen viel leichter prüfen. Zusätzlich ermöglichen CO₂-Speicherprojekte einen wertvollen Raum für Forschungs- und Bildungsprojekte vor Ort. Besonders Langzeitprojekte mit studentischer Beteiligung und Kooperationen mit weiteren wissenschaftlichen Institutionen kämen so zu neuen Forschungsgegenständen.

Dennoch: Entgangene Einnahmen bleiben entgangene Einnahmen. Könnte dieser kontroverse Aspekt nicht zum Thema eines universitären Ideenwettbewerbs gemacht werden, um effiziente Wege zur Reduzierung von Emissionen zu erarbeiten? »Understand the truth – and act creatively...«

Fußnoten

  1. Wenn der Fokus auf Kohlendioxid liegt, ist der Begriff CO₂-Neutralität angemessen. Wenn der Fokus weitere Treibhausgase, wie beispielsweise Methan, einbezieht, sollte der Begriff Klimaneutralität verwendet werden.
  2. Eigene Übersetzung: Reduziere was du kannst und kompensiere den Rest.- Dhanda, K. Kathy; Hartman, Laura P.: The Ethics of Carbon Neutrality: A Critical Examination of Voluntary Carbon Offset Providers, in: Journal of Business, Ethics, 100(1), S. 119-149, hier: S. 125, s. URL: http://link.springer.com/article/10.1007/s10551-011-0766-4, 17.07.2015.
  3. Vgl. Ziegler, Rafael: Climate Neutrality – on the Emergence of a New Conception of Resource Neutrality, in: Greifswald Environmental Ethics Papers, Greifswald 2014, Nr. 8, URL: http://www.botanik.uni-greifswald.de/130.html, 17.07.2015.
  4. Einführung und Umsetzung von Strategien zum Klimaschutz.
  5. Eigene Übersetzung: Verstehe die Wahrheit und handle edel.- S. Orr, David W.: Optimism and Hope in a Hotter Time, in: Conservation Biology, New York (21)2007, Nr. 6, S. 1392-1395, hier: S. 1393, URL: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1523-1739.2007.00836.x/epdf, 17.07.2015.
  6. Vgl. Leitbild der Universität Greifswald vom 10. Oktober 2012, Abschnitt »Menschen und ihre Institution«, URL: http://www.uni-greifswald.de/informieren/leitbild.html, 17.07.2015; vgl. auch Wilmking, Martin; Wölk, Monique: C02-neutrale Universität. Umsetzungs-Konzept, Universität Greifswald, Institut für Botanik und Landschaftsökologie, 19. Dezember 2014.
  7. Darin sind die CO2-Emissionen der Universitätsmedizin nicht berücksichtigt, da letztere eine organisatorisch eigenständige Einheit darstellt. Die Universitätsmedizin hat sich jedoch für eine eigenständige Reduzierung ihrer Emissionen ausgesprochen.
  8. Vgl. Peters-Stanley, Molly; Gonzalez, Gloria: Sharing the Stage. State of the Voluntary Carbon Markets 2014. A Report by Forest Trends' Ecosystem Marketplace, Washington, DC 2014, URL: http://www.forest-trends.org/documents/files/doc_4841.pdf, 17.07.2015.

Autor:innen

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