Zum Inhalt springen

Politikverdrossenheit

Wie politisch sind Studierende heute?

Von und

Artikel teilen

Nein, sagt Katharina Knopke. Gemeinsam mit Laura Krüger und Dr. Jasmin Siri hat sie in einer neuen Mediennutzungsstudie für die Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht, wie sich die Beziehung von Politik und Studentenschaft heute verhält.

»In unserer Studie haben wir die Studierenden als sehr politisch wahrgenommen. Sie verfolgen Tagespolitik, interessieren sich für gesellschaftliche Themen und sind häufig auch selbst sozial oder politisch engagiert. Aber sie sind weniger streitlustig, sondern verfolgen lösungsorientierte Ansätze ohne eine ideologische Gebundenheit«, fasst Knopke zusammen.

Für die deutschlandweit angelegte, qualitative Studie wurden 60 Masterstudenten im Alter von 22 bis 29 Jahren interviewt. Studenten in diesem Alter eignen sich besonders gut, um das Bild einer Gesellschaft zu zeichnen, die es heute noch gar nicht gibt. Es lässt Aussagen über die Zukunft zu, wenn man weiß, welche politische Haltung künftige Ärzte, Lehrer und Führungspersonen heute haben. Die Studie selbst spricht von den Studierenden als der »künftige[n] Funktionselite der BRD«.

»Aus der Gruppe der Studierenden werden sich später viele in relevanten Rollen der Öffentlichkeit wiederfinden«, so Knopke. Auch die Studie betont, dass sich im studentischen Umfeld Trends und mediale Entwicklungen früh abzeichnen, die auch für politische Organisationen von Bedeutung sein können.

Heutige Studierende fühlen sich keiner bestimmten Partei zugehörig

Doch Student ist nicht gleich Student und auch wenn man seit der Studentenbewegung der 68er gern von einer geschlossenen Gruppe der Studierendenschaft spricht, zeichnet sich in den Ergebnissen der neuen Studie kein klares Bild einer studentischen Identität ab. Besonders in Abgrenzung zur 68er-Generation seien Studenten heute zwar nicht weniger, aber eben anders politisch:

»Die 68er waren nicht nur politisch, sondern haben in diesem Politisch-Sein eine Identität gebildet und sich als Gruppe gesehen. Das können wir bei der aktuellen Studierendengeneration nicht feststellen. Wenn man sich die Studierendenproteste der 68er-Generation anschaut, fällt sofort auf, dass sie vor Konfrontationen nicht zurückschreckte. Aus Protesten gegen Studienbedingungen wurde ein teils gewaltsamer Kampf gegen politische und soziale Umstände.«

Und welche politischen Themen sind bei den heutigen Studenten von besonderem Interesse? Katharina Knopke fasst die Studienergebnisse zusammen: »Es wurden häufig Themen genannt, die tagespolitisch eine hohe Bedeutung hatten. Das waren etwa die Flüchtlingskrise, die Präsidentschaftswahlen in den USA oder das deutsch-türkische Verhältnis. Aber auch mit ›Dauerbrenner‹-Themen wie Umweltschutz, Gerechtigkeitsfragen oder Feminismus setzen sich die Studierenden auseinander.«

Das politische Bewusstsein der gegenwärtigen Studentengeneration ist demnach sehr ausgeprägt, auch wenn sich heute weniger Studenten einer bestimmten politischen Bewegung zugehörig fühlen. Doch die Einordnung oder das Bekenntnis zu einer bestimmten politischen Position oder gar einer Partei fällt den Studierenden schwerer als früher.

»Einen Trend zu politisch konservativen Werten haben wir in den Interviews nicht feststellen können«, erklärt Knopke. »Die meisten unserer Interviewpartner verorteten sich zwar ›eher links‹ oder ›eher mittig‹. Es wurde aber auch deutlich, dass sich viele keiner Partei zugehörig fühlten, sondern sich je nach Fragestellung positionierten. Sie sind also eher wählerisch und nehmen ein bisschen was von hier und ein bisschen was von da.«

Die Unbestimmtheit der Studierenden deckt sich mit den Zeitdiagnosen neuer Demokratiestudien. Individuelle, themenspezifische Positionierungen spielen auch beim Wahlverhalten eine immer größere Rolle. Das war früher anders. Als Haupteinflussfaktor auf die Wahlentscheidung wurde in der Wahlforschung immer von der Parteiidentifikation ausgegangen, die alle weiteren Entscheidungskriterien einfärbt.

Die Wahlentscheidung nicht von der Vorliebe für eine Partei abhängig zu machen, sondern von den Themen, die einem als besonders relevant gelten, ist ein junges Phänomen, das zudem ein großes politisches Bewusstsein voraussetzt. Sich mit den Lösungsvorschlägen der verschiedenen Parteien für politische Sachfragen auseinanderzusetzen, erfordert einen höheren Aufwand, der aber durch den schnelleren Zugang heute erheblich erleichtert wird. Durch die Onlinepräsenz der Parteien und ihrer Programme lassen sich die themenspezifischen Positionen einfacher miteinander vergleichen, womit ein Wahlvorhaben aufgrund von konkreten politischen Themen erst möglich wird.

In der jüngeren Zeit hat die Omnipräsenz bestimmter Themen wie der Flüchtlingsdebatte auch dazu geführt, dass sich politische Radikalisierungen schneller verbreitet haben. So lassen sich die hohen Wahlergebnisse der AfD bei der Bundestagswahl 2017 unmittelbar auf deren themenspezifischen Wahlkampf zurückführen. Allerdings finden sich solche Radikalisierungsprozesse im studentischen Umfeld kaum wieder: »Wir haben eher festgestellt, dass Studierende sich von radikalen Haltungen abgrenzen«, so Knopke.

Neue Medien haben die Hürden für politische Partizipation gesenkt

Die Kernthesen der Studie basieren auf der Frage, in welchem Verhältnis die Mediennutzung der Studierenden und deren politisches Bewusstsein zueinander stehen.

»Ich würde von einer Wechselwirkung sprechen. Die Studierenden nutzen ein breites Medienensemble, aber beispielsweise selten lokale Nachrichtenangebote. Das spiegelt sich auch in den Themen wider, für die sie sich interessieren. Es wurde aber auch deutlich, dass das Internet eine hohe Bedeutung hat. Hier konsumieren sie journalistische Onlineportale, rufen Mediatheken auf, hören Podcasts und Musik. Lineares Fernsehen dagegen nutzen die Studierenden nur noch selten und Radio ist nur noch ein ›Nebenbeimedium‹.«

Die Studie verdeutlicht, dass sich Studierende ganz bewusst mit dem breiten Medienangebot auseinandersetzen und einen differenzierten Blick auf die Medienlandschaft werfen. Medien werden online genutzt, die Onlineausgaben von Zeitungen bereits als klassisch angesehen und mit den Printausgaben der Zeitungen gleichgesetzt. Beinahe alle Teilnehmer gaben in der Studie an, in erster Linie journalistische Onlineportale zur Gewinnung von politischen Informationen zu nutzen. Das Internet als Informationsquelle ist für Studierende damit eine Selbstverständlichkeit, doch ist es für sie auch ein Medium der politischen Partizipation?

»Neue Medien haben die Hürden für politische Partizipation gesenkt«, so Knopke. »Eine Onlinepetition ist beispielsweise schnell unterschrieben und mit weniger Aufwand verbunden, als an innerparteilichen Debatten zu dem gleichen Thema teilzunehmen.«

Studierende sind heute nicht unpolitischer als früher. Sie nutzen vielleicht andere Medien und verstehen sich nicht mehr als soziale Gruppe, doch politisches Bewusstsein kann ihnen nicht abgesprochen werden. Demokratie lebt von Beteiligung, und genau diese wird erleichtert, wenn neue Medien auch neue Formen der politischen Partizipation ermöglichen.

Aktuelle Ausgabe

Dieser Beitrag erschien in der neunten Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.

KATAPULT abonnieren

Fußnoten

  1. Vgl. Knopke, Katharina; Krüger, Laura; Siri, Jasmin: Vereinzelt, konfliktscheu, weltoffen? Studierende und Politik, Bonn 2017.
  2. Vgl. ebd., S. 6.
  3. Vgl. ebd.
  4. Vgl. Campbell, Angus u.a.: The American Voter, Chicago 1960.
  5. Vgl. Schoen, Harald; Weins, Cornelia: Der sozialpsychologische Ansatz zur Erklärung von Wahlverhalten, in: Falter, Jürgen W.; Schoen, Harald (Hg.): Handbuch Wahlforschung, Wiesbaden 2005, S. 187–242.
  6. Vgl. Steppat, Timo: Datenanalyse – Merkel und die Koalition der Zufriedenen, auf: faz.de (25.9.2017).
  7. Vgl. Knopke/Krüger/Siri 2017, S. 13.

Autor:innen

Universität Bielefeld

Forschungsschwerpunkte
Kommunikationsakteure und Medienformen
Soziale Ungleichheit und Partizipationschancen

Neueste Artikel

Wie Alaska fast an Liechtenstein verkauft worden wäre

Alaska ist rund 11.000 Mal so groß wie Liechtenstein. Und doch hätte das kleine Fürstentum das Gebiet einmal fast gekauft!

Risse in der Brandmauer

Die Brandmauer gibt es nicht - und gab es offenbar auch nie. Das zeigt sich besonders auf kommunaler Ebene in den neuen Bundesländern, wie eine neue Studie herausgearbeitet hat.

Die kleinste Stadt der USA

Elsie Eiler ist 90, Bürgermeisterin der Stadt, leitet die Stadtbibliothek und betreibt das einzige Lokal im Ort. Sie zahlt sich selbst Steuern und hat sich selbst eine Ausschankgenehmigung erteilt.