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Vermögensvergleich

Wer war der reichste Mensch aller Zeiten?

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Das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes führt eine ständig aktualisierte Liste aller Milliardäre dieser Erde. Seit Oktober 2017 führt Amazon-Gründer und Besitzer der Washington Post Jeff Bezos diese an. Während der langjährige Spitzenreiter Bill Gates laut Forbes über ein Vermögen von circa 90 Milliarden US-Dollar verfügt, stellt der 120 Milliarden Dollar schwere Unternehmer Bezos diesen inzwischen weit in den Schatten.

Um das Reichtum zu ermitteln, berechnet Forbes den Gegenwert aller Vermögensanteile einer Person, also zum Beispiel deren Immobilien, vor allem jedoch Wertpapiere. So hält Bezos 16 Prozent von Amazon. Die Anteile entsprechen derzeit einem Wert von etwa 116 Milliarden US-Dollar. Jeff Bezos hat also mehr Geld als jeder andere lebende Mensch. Aber ist er damit auch der reichste Mensch aller Zeiten?

Was Forbes vernachlässigt, weiß jeder, der schon einmal im Ausland war: Die Preise für Waren und Dienstleistungen können von Land zu Land enorm variieren. Ein US-Dollar besitzt nicht überall die gleiche Kaufkraft. So kann ein Milliardär beispielsweise in Mexiko mehr Golfplätze bauen lassen als in den USA. Um Geldbeträge in unterschiedlichen Ländern vergleichbar zu machen, stellen Institutionen wie das Statistische Bundesamt und die Weltbank einen gedachten Warenkorb aus Hunderten von Waren und Dienstleistungen zusammen, der die Ausgaben eines durchschnittlichen Haushaltes widerspiegelt. Steigen die Kosten eines Warenkorbes, spricht man von Inflation, sinken sie, von Deflation. Unterscheidet sich der Preis des Warenkorbes über verschiedene geographische Räume hinweg, kann daraus auf Unterschiede hinsichtlich der Kaufkraft geschlossen werden.

Aufgrund unterschiedlicher Konsumgewohnheiten erweist sich ein internationaler Kaufkraftvergleich jedoch als problematisch. Deutsche geben beispielsweise einen geringeren Anteil ihres Vermögens für Nahrungsmittel aus als Kenianer. Trotzdem ist ein Vergleich durchaus machbar. Zur historischen Gegenüberstellung von Vermögen ist er aber denkbar ungeeignet, da sich kein vergleichbarer Warenkorb zusammenstellen ließe. Viele Produkte, die man heute an jeder Ecke kaufen kann, würde man auf einem mittelalterlichen Marktplatz vergeblich gesucht haben. Ein Kaufkraftvergleich über historische Epochen hinweg muss also anders vorgenommen werden.

Der ehemalige Sklave Marcus Antonius Pallas hätte sich 800.000 Römer leisten können

Sowohl Adam Smith, der Vater der modernen Wirtschaftswissenschaften, als auch Karl Marx sehen den Wert eines Gutes in der Arbeitszeit, die für dessen Produktion aufgewendet wurde. In Anlehnung an die beiden Ökonomen bietet es sich an, zum historischen Vergleich von Vermögen die Anzahl der Arbeiter heranzuziehen, die die Reichen der Weltgeschichte zu ihrer Lebenszeit hätten bezahlen können. Anders ausgedrückt: Statt dem Potential, Endprodukte wie Güter oder Dienstleistungen zu erwerben, entspricht der Wert eines Vermögens hier dem Potential zum Kauf des Produktionsfaktors Arbeit.

Das Potential zum Kauf von Arbeitskräften erschließt sich aus der Größe des jeweiligen Vermögens und der Höhe des zeitgenössischen Durchschnittslohns. Mit diesen beiden Werten kann errechnet werden, wieviele Arbeitskräfte die Reichen der Weltgeschichte jeweils von ihrem Geld bezahlen konnten.

Der ehemalige Sklave Marcus Antonius Pallas soll im Rom des 1. Jahrhunderts Schätze im Wert von 300 Millionen Sesterzen angehäuft haben. Bei dem damals üblichen Durchschnittslohn hätte er damit etwa 800.000 Römer ein Jahr lang beschäftigen können. Dies ist jedoch wenig im Vergleich zu dem US-amerikanischen Unternehmer John D. Rockefeller: Bei seinem Tod im Jahr 1937 hätte dieser etwa zwei Millionen Amerikanern einen Jahreslohn zahlen können.[4] Jeff Bezos’ nominales Vermögen ist heute deutlich höher, als es das von John D. Rockefeller jemals war. Dennoch kann Bezos nicht mehr Menschen beschäftigen. Da die amerikanischen Durchschnittslöhne seit Rockefeller um ein Vielfaches gestiegen sind, könnte der Amazon-Chef ebenfalls »nur« rund zwei Millionen Arbeiter bezahlen.

Ist Reichtum relativ?

Jeder Deutsche mit einem durchschnittlichen Einkommen kann heute einen Lebensstandard halten, der vor der industriellen Revolution als extravagant gegolten hätte. Im historischen Vergleich sind die Leser dieses Textes also allesamt wohlhabend. Dennoch bezeichnen sich die meisten sicher nicht als reich, da sie ihren Wohlstand nicht im geschichtlichen Vergleich, sondern im Verhältnis zu ihren lebenden Mitmenschen betrachten. Reichtum müsste demnach im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext verglichen werden.

Wieviel privates Vermögen kann jemand im Vergleich zur gesamten Volkswirtschaft anhäufen? Beispiel Rockefeller: Bei seinem Tod verfügte er über ein Vermögen von 1,4 Milliarden US-Dollar, was damals 1,5 Prozent des US-amerikanischen BIP entsprach. Da kein Amerikaner vor oder nach Rockefeller je einen größeren Anteil der US-Wirtschaftskraft als Vermögen anhäufen konnte – Bezos’ Besitz entspricht nicht einmal 0,15 Prozent des US-BIP –, könnte er als der Reichste Amerikaner der Geschichte betrachtet werden.

Für diese Methode der Reichtumsberechnung gibt es noch ausgefallenere Beispiele. Der Augsburger Jakob Fugger erwirtschaftete durch Bank- und Montangeschäfte ein Vermögen, das bei seinem Tod im Jahr 1525 etwa zehn Prozent des BIP des Heiligen Römischen Reiches entsprach. Genug, um von der »Welt« zum reichsten Menschen aller Zeiten ernannt zu werden.[5] Eines der beeindruckendsten Beispiele findet sich jedoch in der Gegenwart: Bidsina Iwanischwili, 2012/13 Premierminister Georgiens, verfügt mit seinem geschätzten Vermögen von aktuell rund 4,6 Milliarden US-Dollar[6] über ein Viertel der georgischen Wirtschaftskraft. Wer aber ist der reichste Mensch der Geschichte, wenn man die Weltwirtschaft als Bezugspunkt setzt?

Das Taj Mahal von Jeff Bezos

Die Medienagentur »Visual Capitalist« geht solchen Überlegungen nach, wenn sie monarchische Herrscher wie Kaiser Augustus, den chinesischen Kaiser Shenzong und den indischen Großmogul Akbar als reichste Menschen der Weltgeschichte nennt.[7] Hierzu setzt es die Wirtschaftskraft der Territorien dieser Herrscher ins Verhältnis zum zeitgenössischen Welt-BIP.

Als Eroberer Indiens beherrschte Akbar ein Reich, das um 1600 etwa 25 bis 30 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft stellte. Ähnlich große Wirtschaftsräume wurden unter den römischen und den chinesischen Kaisern vereint. Zumindest in China und Indien wurden diese Territorien als persönliches Eigentum ihrer Herrscher betrachtet, eine Trennung zwischen staatlichem und privatem Eigentum gab es nicht. Ganz nach Ludwig XIV.: »Der Staat bin ich.« Insofern kann von diesen Monarchen als den reichsten Menschen der Geschichte gesprochen werden. Aber auch diese Überlegung ist problematisch.

In der Praxis besaßen nämlich weder die römischen oder chinesischen Kaiser, noch die indischen Großmoguln unbeschankte Verfügungsgewalt über die von ihnen regierten Territorien. Als ein Nachfolger Akbars seiner Frau das Taj Mahal baute, extrahierte er dafür zwar gewaltige Mittel aus seinem Reich. Allerdings hätte ein Großmogul nicht all seine Territorien wie ein Grundstück verkaufen können, ohne seine Macht zu verlieren und auf Widerstand in der Bevölkerung zu stoßen. Einen Jeff Bezos hingegen könnte nichts daran hindern, seine Amazon-Aktien zu verkaufen, und seiner Frau ein 116 Milliarden Dollar teures Mausoleum zu errichten, dass sein indisches Vorbild an Pracht übertreffen würde.

Eine Gleichsetzung der Wirtschaftskraft eines Landes mit dem Reichtum seines Herrschers entspricht daher nicht unserem modernen Verständnis von Privateigentum. Andererseits sind die tatsächlich privaten Reichtümer eines Monarchen schwer von öffentlichem Besitz zu trennen. Einen Herrscher als »reichsten Menschen der Weltgeschichte« zu bezeichnen, ist also schwierig.

Wie war das mit dem Warenkorb?

Wohlstand kann als das Potential zum Kauf von Arbeitskraft oder materiellen Gütern aufgefasst werden. Alternativ kann man Reichtum relativ verstehen, indem man es in Bezug zur Wirtschaftskraft der Mitmenschen setzt. Ein historischer Vergleich wird durch die Quellenlage erschwert: Für die längste Zeit der Weltgeschichte existieren keine belastbaren Hinweise auf den genauen Reichtum der damals lebenden Menschen. Die Lebensbedingungen haben sich über die Jahrhunderte verändert, ebenso wie das Verständnis von »Privateigentum«.

Heute hingegen lässt sich die Größe privater Reichtümer leicht dem Wert von Unternehmensanteilen entnehmen. Für den Vergleich moderner Geldsummen ist ein Werkzeug weitgehend akzeptiert: der zu Beginn erwähnte Warenkorb. Für eine Gegenüberstellung moderner mit vorindustriellen Vermögen ist er ungeeignet. Der Kaufkraftvergleich über eine Generation hinweg ist jedoch aussagekräftig.

Jeff Bezos ist nicht der erste Mensch, dessen Reichtum die 100-Milliarden-Dollar-Grenze überschreitet. Bill Gates’ Vermögen, das damals hauptsächlich aus Microsoft-Anteilen bestand, erreichte im April 1999 mit 101 Milliarden Dollar seinen Höchststand. Nach dem Warenkorb-Vergleich hatte diese Summe eine Kaufkraft von 150 Milliarden heutiger US-Dollar. Inflationsbereinigt hatte Gates zu seiner Höchstzeit also 30 Milliarden Dollar mehr als Jeff Bezos heute.

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Der Artikel wurd Anfang März 2018 fertiggestellt. Einzelne Zahlenwerte können sich daher verändert haben, was aber keinen Einfluss auf die dargestellten Zusammenhänge hat.

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