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Chinas Wissenschaftsaufschwung

Taikonauten, Schweineaugen und die dunkle Seite des Mondes

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Während der US-amerikanische Präsident die Wissenschaft seines Landes moralisch demontiert und deshalb auch die Ausgaben um insgesamt etwa 17 Prozent senken möchte, investiert der chinesische Staat seit neuestem enorm viel Geld in die Forschung. Im Jahr 2000 gab China etwa so viel Geld für Forschung und Entwicklung aus wie Frankreich, heute ist es auf einer Stufe mit der gesamten Europäischen Union und in wenigen Jahren wird es auch die USA überholen.

Über 1,5 Millionen chinesische Wissenschaftler produzieren mittlerweile so viele Artikel, dass weltweit nur noch die USA mehr Veröffentlichungen vorweisen können. Die besten chinesischen Universitäten steigen in weltweiten Rankings immer weiter auf und einige Institute haben sich einen einzigartigen Status erarbeitet.

Viel Geld für Forschung auszugeben, heißt jedoch noch nicht, auch Erfolge liefern zu können. Eine Studie der Universität in Michigan kommt aber zu dem Ergebnis, dass die enormen Finanzhilfen Chinas für Forschung und Entwicklung erste nennenswerte Effekte zeigen.

In absoluten Zahlen erscheinen die Investitionen in Forschung und Entwicklung mit einem Betrag von 407 Milliarden Euro gewaltig, in Relation zur Bevölkerung sind sie jedoch nur mittelmäßig. Deshalb hat China ein hohes Potential, sich zum Spitzenreiter im Bereich der Wissenschaft zu entwickeln. Das größte Hindernis wird dabei die Internationalisierung der Wissenschaft sein. Chinesische Wissenschaftler sind weniger mit anderen Kollegen aus dem Ausland vernetzt. Während die meisten neuen Entwicklungen des Westens von internationalen Forscherteams vorangetrieben werden und von der heterogenen Arbeitsweise profitieren, bleiben chinesische Forscher oft unter sich. Es gibt deshalb noch Möglichkeiten, die Forschungsatmosphäre in China zu verbessern.

Chinesische Großprojekte

In einem natürlichen Krater hat China 2016 ein riesiges Radioteleskop errichtet. Neben dem verspiegelten Riesenteller sahen die Bauerbeiter, die es fertigstellten, wie Ameisen aus. Es hat einen Durchmesser von über 500 Metern und übertrifft in seinen Ausmaßen das bisher größte Radioteleskop der Welt in Puerto Rico, das »nur« 305 Meter misst. Während einige Teleskope, etwa das Hubble-Teleskop, wie ein großes Auge funktionieren und das Licht des Universums einfangen, arbeitet ein Radioteleskop wie ein riesiges Ohr und kann Radiowellen aus weit entfernten Gebieten des Weltalls empfangen.

Chinas neues Teleskop ist so leistungsstark, dass die Wissenschaft damit auf ein neues Niveau gehoben wird. Das Ziel des Projektes ist es, neue Erkenntnisse über die Entstehung des Universums zu erlangen, neue Sterne und außerirdisches Leben zu entdecken.

Ein Projekt dieser Größe hat natürlich auch Nachteile. Dörfer, die sich in einem Umkreis von fünf Kilometern befinden, dürfen keine Radiowellen mehr nutzen. Alles, was das Teleskop stören könnte, muss abgeschaltet werden. Darunter fallen der Mobilfunk wie auch WLAN-Netzwerke. Dies betrifft mehrere Tausend Menschen. Die chinesische Staatspartei hat den Bewohnern einen finanziellen Ausgleich angeboten, um in die Stadt ziehen zu können, aber einige von ihnen empfinden das Angebot als unfair.

150 Millionen Euro investierte China, um herauszufinden, wie tierische Hornhaut in ein Menschenauge verpflanzt werden kann

Das Schweineauge

Wer in China Probleme mit den Augen hatte, bekam früher eine neue Augenhornhaut von zum Tode verurteilten Gefängnisinsassen. Heute ist diese Praxis nicht mehr üblich. Stattdessen hat China 150 Millionen Euro investiert, um herauszufinden, wie tierische Hornhaut in ein Menschenauge verpflanzt werden kann. Zehn Jahre arbeiteten chinesische Forscher aus Shenzhen daran. Sie erkannten, dass die Hornhaut von Schweinen am ehesten der des Menschen ähnelt.

Die Transplantation ist jedoch kompliziert. Damit der menschliche Körper ein neues Körperteil annimmt, muss es an ihn angepasst werden. Deshalb streifen die Wissenschaftler die Zellen der Schweine ab. Sie entfernen die tierische DNA, Proteine und Lipide. Das Ziel ist es, alles, was dazu führen könnte, dass der Körper des Patienten das fremde Gewebe abstößt, bereits vorher zu entfernen. Wenn alles klappt, wird das fremde, wie eine Kontaktlinse aussehende Gewebe von den menschlichen Zellen neu besetzt.

Kein anderes Land der Welt ist in der Lage, diese Operation durchzuführen

Die Prozedur ist noch nicht weit erforscht, bisher wurden erst 200 erfolgreiche Operationen durchgeführt. Die bisherige Erfolgsquote liegt jedoch bereits bei 90 Prozent. Kein anderes Land der Welt ist in der Lage, diese Operation durchzuführen.

Am Grund des Marianengrabens

Der tiefste Punkt der Erde liegt im Marianengraben. Er befindet sich etwa 11.000 Meter unter der Meeresoberfläche. Bisher sind nur zwei Menschen so tief getaucht. China möchte das ändern. Die Universität von Shanghai experimentiert derzeit mit einer privaten Firma namens »Rainbowfish« an einem U-Boot, das es gleich drei Personen gleichzeitig ermöglichen soll, bis zum Grund des Marianengrabens zu tauchen. Das stromlinienförmige U-Boot ist etwa zehn Meter lang und von einer dicken Metallhülle umgeben.

Das Forscherteam sucht noch nach den optimalen Materialien, die besonders widerstandsfähig sein müssen. 2019 soll das U-Boot den tiefsten Punkt der Erde erreichen.

Solange die territorialen Streitigkeiten im Südchinesischen Meer nicht geklärt sind, wirkt das Experiment, als wollten die Chinesen sich dort einen militärischen Vorteil sichern. Die Forscher lehnen das grundsätzlich ab und suchen deshalb nach internationalen Kooperationspartnern.

Das zukünftig erschlossene Gebiet könnte aus ihrer Sicht für verschiedene friedliche Zwecke genutzt werden, etwa für die Öl- und Gasförderung, den Unterwassertourismus und für die weitere Erforschung der Tiefsee.

Die dunkle Seite des Mondes

US-amerikanische Astronauten sind zwar zum Mond geflogen und die Sowjets haben unbemannte Flüge dorthin durchgeführt. Aber beide Nationen landeten bisher immer auf der erdzugewandten Seite. Dies ist deutlich einfacher als auf der »dunklen« Seite. China möchte genau das tun.

Neun Chinesen flogen bisher ins All. Sie nennen sich Taikonauten. 2013 wurde der erste chinesische Rover (»Yutu«) auf dem Mond abgesetzt. Obwohl China bislang nur vier Mondmissionen flog, soll in den kommenden Jahren schon der erste Mensch der Welt die Rückseite des Mondes erkunden. Eine Marsmission plant China ebenfalls. Es möchte auch dort einen Rover absetzen.

Deutsche Firmen klagen über chinesische Wirtschaftsspionage. Doch schon heute hätten die Deutschen allen Grund dazu, auch in China zu spionieren

Vorreiter technologischer Innovation

Chinas Ambitionen sind enorm. Während die Raumfahrtmissionen der USA - vor allem die bemannten - wirken, als hätten sie an Dynamik verloren, startet China neue große Projekte, um die Erkundung des Universums voranzutreiben. Vor allem in technologisch orientierten Wissenschaften scheint China die restliche Welt bald mithilfe von viel Geld, vielen Wissenschaftlern und sehr hohem Erfolgsdruck abzuhängen.

Vor ein paar Jahren haben die Chinesen den Transrapid und den Smart eins zu eins nachgebaut, und deutsche Firmen klagen allgemein über die chinesische Wirtschaftsspionage. Das wird auch noch ein paar Jahre so bleiben. Doch schon heute hätten die Deutschen allen Grund dazu, auch in China zu spionieren. Denn das Land, das noch vor wenigen Jahrzehnten als unterentwickeltes Agrarland wahrgenommen wurde, ist heute auf vielen Gebieten zum Vorreiter technologischer Innovation geworden.

Dieser Beitrag erschien in der siebten Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.

[1] Vgl. Demarco, Emily: Trump's proposed 2018 budget takes an ax to science research funding, auf: sciencenews.org (26.5.2017).
[2] Vgl. Morelle, Rebecca: China's Science Revolution, auf: bbc.co.uk (23.5.2016).
[3] Vgl. Wall, Mike: China Finishes Building World's Largest Radio Telescope, auf: space.com (6.7.2016).
[4] Vgl. Morelle 2016.
[5] Vgl. ebd.
[6] Vgl. ebd.

Autor:innen

Der Herausgeber von KATAPULT und Chefredakteur von KATAPULTU ist einsprachig in Wusterhusen bei Lubmin in der Nähe von Spandowerhagen aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft und gründete während seines Studiums das KATAPULT-Magazin.

Aktuell pausiert er erfolgreich eine Promotion im Bereich der Politischen Theorie zum Thema »Die Theorie der radikalen Demokratie und die Potentiale ihrer Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten«.

Veröffentlichungen:
Die Redaktion (Roman)

Pressebilder:

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