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Lärm als Umweltverschmutzung

Rammstein unter Wasser

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Übermäßige Lärmbelastung durch Autobahnen und Flughäfen schaden der menschlichen Gesundheit. Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, kognitive Beeinträchtigungen, Hörschäden und Tinnitus können daraus folgen. Deshalb fordern viele Stimmen in der Wissenschaft, durch Menschen verursachten Lärm als Umweltveränderung und -verschmutzung zu berücksichtigen und alle Lebewesen vor einer zunehmenden Belastung zu schützen. Denn die Lärmkulisse wirkt sich auch auf die Tierwelt aus. Das hat eine Studie von zwei Forschern der Queen’s University in Belfast ergeben.

Sie erstellten einen Überblick über 108 Studien, die sich mit den Auswirkungen von Lärm auf zahlreiche Tierarten befassen. Insgesamt wurden 109 Arten berücksichtigt. Beinahe alle Tiere – darunter Säugetiere, Fische und Vögel – reagierten auf menschenverursachten Lärm, und zwar in ähnlicher Intensität. Die meisten leiden darunter, einige Arten können aber auch indirekt davon profitieren, zum Beispiel wenn Fressfeinde geräuschintensive Regionen meiden. Mit diesem Ergebnis liefern die Forscher einen umfassenden Beleg, dass Lärm eine Vielzahl von Arten beeinflusst, sowohl im Wasser als auch auf dem Land. Dieser Umstand wirkt sich auch auf die Pflanzenwelt aus.

So laut wie ein Raumschiff in 300 Metern Höhe

Die störenden Geräusche gehen unter anderem von Transportmitteln wie Schiffen und Zügen, vom Militär, etwa durch Testsprengungen, und von der Industrie aus. Eine erhebliche Lärmquelle im Ozean sind beispielsweise sogenannte Air Cannons, die mit Druckluftstößen den Meeresboden nach Erdölvorkommen abtasten. In einem Interview beschreibt Christopher Clark, Direktor des Bioakustik-Forschungsprogramms der Cornell University, diese Lärmbelästigung in etwa so, als würde ein Raumschiff in 300 Metern Höhe über einer Stadt hin- und herfliegen und alle zehn Sekunden einen lauten Knall von sich geben. Der Einsatz solcher Schallkanonen nahm in den letzten Jahren zu. Während 2005 knapp vier Prozent der Fläche des Mittelmeers unter Beschallung der Kanonen standen, war im Jahr 2017 schon über ein Viertel der Gesamtfläche betroffen.

Doch nicht nur einzelne besonders laute Geräusche schaden den Tieren. Dauerhafter Lärm mit eigentlich weniger kritischen Frequenzen ist auf lange Sicht sogar noch gefährlicher. Derartige Geräusche gehen zum Beispiel von Windkraftanlagen, Schiffen oder hochfrequenten Sonaren aus, mit denen unter anderem Fischschwärme geortet werden. Das Problem: Die Anzahl und Größe der Schiffe nehmen immer weiter zu. Schätzungen zufolge hat sich die weltweite Handelsflotte von 1959 bis 2009 verdreifacht. Der niederfrequente Umgebungslärm im Meer ist im Vergleich zu vorindustriellen Bedingungen um mindestens 20 Dezibel angestiegen.

Mehr Lärm, kleinere Küken

Diese Geräuschkulisse wirkt sich auf unterschiedliche Lebensbereiche von Tieren aus. Beispielsweise singen einige Vögel in lärmintensiven Gebieten weniger komplexe Liebeslieder und laufen somit Gefahr, bei der Partnersuche schlechter abzuschneiden. Je nachdem, wie intensiv die Lärmquelle und wie weit entfernt sie ist, kann es bei den Tieren zu einer Veränderung des Verhaltens, akustischen Traumata oder massiven Verletzungen des Hörsinns kommen. Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen untersuchte beispielsweise, wie sich Straßenlärm auf Zebrafinken auswirkt. Ergebnis: Die Küken sind kleiner im Vergleich zu denen, die in ruhiger Umgebung aufwachsen. Der Rückstand konnte nach Verlassen des Nestes zwar wieder aufgeholt werden, doch Langzeitfolgen sind nicht ausgeschlossen. Vermutet wird, dass die konstante Geräuschkulisse die Lebensdauer der Küken beeinträchtigt.

Eine weitere Folge des Lärms ist die sogenannte Maskierung. Dabei überdecken die vom Menschen verursachten Geräusche Schallsignale aus der Umgebung und schränken so das »Sehfeld« der Tiere ein, da sie weniger Informationen über die Umgebung aufnehmen können. Die Situation unter Wasser ist mit einer Bahnhofshalle vergleichbar: So überlagern sich verschiedene Geräusche im Meer, wenn sie wie an den Wänden einer großen Halle an der Wasseroberfläche reflektiert werden. Zudem breitet sich Schall im Wasser wesentlich schneller aus als in der Luft. Große Meeressäuger wie Wale kommunizieren mit individuellen, hochkomplexen Gesängen, doch unter dem Dauerrauschen von Schiffen und Windkraftanlagen wird die Verständigung erschwert. Ähnlich wie bei dem Versuch, eine Bahnhofsdurchsage zu verstehen, fällt es den Meerestieren bei vielen Geräuschquellen schwer, relevante Signale zu identifizieren. Airgun-Impulse können sich zu einem kontinuierlichen Geräusch ausdehnen, woraufhin der Kommunikationsraum der Blau- und Finnwale der Antarktis teilweise auf nur noch ein Prozent seiner ursprünglichen Größe schrumpft.

Keine Jobs mehr für Mäuse

Um sich zu schützen, meiden Tiere oft besonders laute Umgebungen, die aber teilweise wichtige Lebensräume für sie darstellen. Kolibris zum Beispiel sind weniger empfindlich als andere Tierarten und können von geräuschvollen Umgebungen profitieren, da ihre Fressfeinde dem Lärm aus dem Weg gehen. Wo es mehr Kolibris gibt, werden auch mehr Pflanzen im jeweiligen Gebiet bestäubt. Jedoch verbreiten sich die Samen der Pflanzen seltener, da bestimmte andere Vögel oder Mäuse, die den Job normalerweise übernehmen, die laute Umgebung meiden. So wirkt sich die Lärmbelastung auch auf die Pflanzenwelt aus.

Um die Tiere vor Lärmbelästigungen zu schützen, gibt es vereinzelt bereits Lösungsansätze – auch von deutschen Behörden. Für den in Deutschland vorkommenden Schweinswal beispielsweise hat das Bundesministerium für Umwelt und Naturschutz ein Schallschutzkonzept entwickelt. Schweinswale leben vor allem in küstennahen Gebieten, die von Schiffstransporten stark frequentiert werden. Diese Belastung bringen die Wissenschaftler mit Verhaltensänderungen der Tiere wie Abtauchen, unterbrochener Nahrungssuche und Beeinträchtigung der Orientierung in Verbindung. Wenn solche Umstände länger anhalten, kann sich das negativ auf die Überlebensfähigkeit der Tiere auswirken. Schweinswale haben hohe Stoffwechselanforderungen und können es sich schlichtweg nicht leisten, ihre Nahrungssuche dauernd zu unterbrechen.

Eine große Gefahr für die Schweinswale geht deswegen vom Bau von Offshore-Anlagen aus. Beim Einrammen der Fundamente in den Meeresboden entstehen hohe Schallpegel, die das sensible Gehör der Wale schädigen können. Eine bereits erprobte Schallminderungsmaßnahme und damit auch ein Schritt in Richtung »grüner Technologie« sind sogenannte Blasenschleier. Dabei werden Rohr- und Schlauchsysteme dort ausgelegt, wo der Schall entsteht, um ihn mit aufsteigenden Luftblasen zu dämpfen. Der Blasenschleier wurde erstmals 2012 beim Bau des Offshore-Windparks »Borkum West II« getestet. Dabei wurde die kritische Fläche, in der die Schweinswale gestört werden, im Vergleich zu einer Baustelle ohne Blasenschleier um 90 Prozent verkleinert. Die Schallschutzmaßnahme war zu Beginn allerdings sehr fehleranfällig und aufwendig zu installieren.

Lärmschutzbauten funktionieren auch im Wasser, aber nicht für alle Tiere

Als drei Jahre später der Offshore-Windpark »Global Tech I« 180 Kilometer vor Bremerhaven gebaut wurde, konnte diese Technik bereits in einer Tiefe von 40 Metern eingesetzt werden. Die kritische Störfläche wurde zwar nur um 68 bis 79 Prozent verringert, also weniger als im Jahr 2012. Dennoch arbeitete der Blasenschleier zuverlässiger und konnte den Lärm trotz großer Wassertiefe und schlechter Wetterbedingungen mildern. Solche Schallminderungsmaßnahmen müssen weiterentwickelt werden, um sie unter verschiedenen Bedingungen einsetzen zu können. Denn die Offshore-Windenergienutzung wird zunehmen, womit auch die Größe der Windanlagen, die Entfernung zum Festland und die Wassertiefe steigen werden.

Umweltorganisationen wie Greenpeace und WWF kritisieren im Hinblick auf das 2013 veröffentlichte Schallschutzkonzept, dass es lediglich Maßnahmen zur Schallminderung beim Bau von Windparks behandele. Negative Auswirkungen anderer menschlicher Schallquellen wie etwa der Schifffahrt sollten aber ebenfalls minimiert werden. Zudem liege der Fokus lediglich auf den Schweinswalen und damit nur auf einer Art, die den marinen Lebensraum bevölkert. Die Umweltschützer fordern, unter anderem auch Seehunde und Fische, die durch den Unterwasserschall beeinträchtigt werden, zu berücksichtigen.

Weitere Schallschutzmaßnahmen gibt es auch an Land: geräuscharme Motoren, lärmmindernde Straßenoberflächen und herabgesetzte Fahrgeschwindigkeiten, während Tiere brüten. Auch Schallschutzwände wurden getestet und erzielen bereits Erfolge: Untersucht wurde das Verhalten zweier Vogelarten in einem Gebiet mit Geräuschbelastung durch Kompressoren für Gasbrunnen. Mithilfe von Schutzwänden rund um die Anlage konnte das vom Lärm belastete Gebiet um 70 Prozent reduziert werden. Die Vögel bezogen das Gebiet in ähnlichem Ausmaß wie im Vergleichsgebiet ohne Kompressoren. Lösungen zu finden, wie Lärm verhindert oder die Belastung auf ein Minimum reduziert werden kann, ist notwendig. Denn wenn Tiere mit Schlüsselfunktionen Gebiete mit besonders lauter Schallkulisse meiden, wird sich das langfristig auf die Struktur und Vielfalt der Ökosysteme auswirken.

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Fußnoten

  1. Kunc, Hansjoerg; Schmidt, Rouven: The effects of anthropogenic noise on animals: a meta-analysis, auf: royalsocietypublishing.org (20.11.2019).
  2. Haas, Michaela: Lärmschutz für Wale, auf: sz-magazin.sueddeutsche.de (1.4.2019).
  3. Castellote, Manuel; Frey, Silvia; Maglio, Alessio; Pavan, Gianni: Overview of the Noise Hotspots in the Accobams Area. Part I – Mediterranean Sea, 2016, S. 2.
  4. Helsinki Commission (Hg.): Biodiversity in the Baltic Sea. An integrated thematic assessment on biodiversity and nature conservation in the Baltic Sea, Helsinki 2009. (Baltic Sea Environment Proceedings No. 116B)
  5. Hildebrand, John: Anthropogenic and natural sources of ambient noise in the ocean, in: Marine Ecology Progress Series, (31)2009, Nr. 395, S. 5-20, hier: S. 14.
  6. Danek-Gontard, Marine; Kunc, Hansjoerg; Montague, Mary: Phenotypic plasticity affects the response of a sexually selected trait to anthropogenic noise, in: Behavioral Ecology, (24)2012, Nr. 2, S. 343-348.
  7. O.A.: Vögel gewöhnen sich nicht an Verkehrslärm, auf: mpg.de (14.10.2019).
  8. O.A.: Airguns – der unterschätzte Störfaktor, auf: umweltbundesamt.de (20.5.2015).
  9. Francis, Clinton u.a.: Noise pollution alters ecological services: enhanced pollination and disrupted seed dispersal, in: Proceedings of the Royal Society B, (279)2012, Nr. 1739, S. 2727-2735.
  10. Wisniewska, Danuta M. u.a.: High rates of vessel noise disrupt foraging in wild harbour porpoises (Phocoena phocoena), in: Proceedings of the Royal Society B, (285)2018, Nr. 1872.
  11. Nützel, Bernd: Untersuchungen zum Schutz von Schweinswalen vor Schockwellen, 2008.
  12. Diederichs, Ansgar u.a.: Entwicklung und Erprobung des Großen Blasenschleiers zur Minderung der Hydroschallemissionen bei Offshore-Rammarbeiten, Husum 2014, S. 20.
  13. Nehls, Georg; Bellmann, Michael: Weiterentwicklung und Erprobung des »Großen Blasenschleiers« zur Minderung der Hydroschallemissionen bei Offshore-Rammarbeiten, Husum 2016, S. 14.
  14. BUND u.a. (Hg.): Verbändestellungnahme zum »Konzept für den Schutz der Schweinswale vor Schallbelastungen bei der Errichtung von Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee (Schallschutzkonzept)«, Mai 2013, S. 2f.
  15. Francis, Clinton D. u.a.: Landscape patterns of avian habitat use and nest success are affected by chronic gas well compressor noise, in: Landscape Ecology, (26)2011, Nr. 9, S. 1269-1280, hier: S. 1269.

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