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Antiamerikanismus

Oberflächlich, überheblich, kriegslüstern und ungebildet

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US-Präsident Trump weiß nicht, dass Belgien ein Staat ist – er hält es für eine Stadt. Er vermutet außerdem, dass Paris in Deutschland liegt, verwechselt das Baltikum mit dem Balkan und lokalisiert Nordkorea dort, wo eigentlich Südkorea zu finden ist. Die geografischen Fehltritte des Präsidenten sind zahlreich, und sie gelten vielen Deutschen als Bestätigung für amerikanische Ignoranz.

Oberflächlich, überheblich, kriegslüstern und ungebildet: Nicht nur über den Präsidenten, sondern über die US-Amerikaner im Allgemeinen finden sich zahlreiche solcher Einschätzungen in Zeitungen oder Meinungsbeiträgen. Der Trick bei Stereotypen ist, dass sie auf tatsächlichen Beobachtungen fußen, diese aber extrem übertreiben, so auch hier. Dabei haben sie nicht immer etwas mit Amerika zu tun – und neu sind sie meist auch nicht.

Klischees dienen der eigenen Identität

Die Fakten: Kein Staat der Welt hat mehr Nobelpreisträger für Physik hervorgebracht – und für Medizin und Chemie und Wirtschaftswissenschaften. In deutschen Charts und Radios sind US-amerikanische Künstler massenhaft vertreten; Blues, Jazz oder Hip-Hop haben sich in den Vereinigten Staaten entwickelt. Auch die US-Filmkunst ist stilprägend, nicht nur bei Hollywood-Produktionen, sondern ebenso im Arthouse-Kino.

Dennoch, das Bild des kulturlosen Amerikas hält sich beständig. Auch in den europäischen Nachbarländern sind solche Einstellungen weitverbreitet. Dafür gibt es Gründe, denn hinter den Äußerungen über amerikanische Kulturlosigkeit, Überheblichkeit oder Materialismus verbirgt sich mehr als nur unreflektierte Vorurteile. Diese Klischees dienen dazu, die eigene Identität zu stärken. Dafür eignen sich die USA besonders, sowohl aufgrund ihrer weltpolitischen Bedeutung als auch angesichts des großen Einflusses, den von den USA ausgehende wirtschaftliche und kulturelle Veränderungen auf Europa ausüben.

Amerika diene Menschen oft als negative Vergleichsfolie, um die Vorzüge der eigenen Nation hervorzuheben, so Felix Knappertsbusch, Soziologe an der Universität Hamburg. Zudem könnten die als problematisch und unerwünscht empfundenen Eigenschaften der eigenen Bevölkerung dem Einfluss der Amerikaner untergeschoben werden.

Das ist kein neues Phänomen, wie der Essener Historiker Darius Harwardt am Beispiel konservativer und rechter Denker in Deutschland rekonstruiert hat. Bestimmte Sprachmuster haben ihren Ursprung in den Ideen voriger Jahrhunderte. Sie dienten schon damals dazu, die eigene Identität aufzuwerten oder gesellschaftliche Veränderungen wie die Ausbreitung des Massenkonsums oder die Liberalisierung gesellschaftlicher Werte zu problematisieren. Moderne Amerika­kritik knüpft daran an.

Amerika: seit Jahrhunderten kultur- und geschichtslos

Im 18. und 19. Jahrhundert deuteten einige europäische Autoren die jungen USA als verkümmerte Version des alten Kontinents. Ihnen zufolge führten die fehlende Geschichte und Tradition auch zu einem Mangel an Moral. Das Land sei degeneriert und seine Bewohner – auch die europäischen Auswanderer – verfügten angeblich über ein niedrigeres geistiges Potenzial. Als Beleg diente ihnen insbesondere die geringe Einwohnerzahl, denn Bevölkerungswachstum galt damals als Zeichen des Fortschritts.

Nur wenig später verzeichneten die Vereinigten Staaten ein enormes Wirtschaftswachstum. Doch die Missachtung blieb. Nun galt Amerika vielen Intellektuellen zwar nicht mehr als Schwundform Europas, dafür aber als materialistisch, oberflächlich, hektisch, von einer entmenschlichenden Mechanik durchsetzt – und seine Bewohner als raffgierig und unmoralisch.

Selbst Hegel meinte, in Amerika weder Kultur noch Geist feststellen zu können. Heine hingegen spottete über die »Gleichheitsflegel« und kritisierte die Sklaverei – einerseits als dessen Gegner, vielmehr aber, weil er den Widerspruch zwischen Gleichheitsanspruch, christlicher Nächstenliebe und Sklaverei als Heuchelei empfand.

Die Sorge vor der Amerikanisierung gab es schon im 19. Jahrhundert

Viele jener kritischen Autoren waren niemals dort. Bei den negativen Darstellungen ging es ihnen auch nicht ausschließlich um die Verunglimpfung Amerikas, sondern im Kern um die zukünftige Entwicklung Europas. Etwa mit der Warnung vor amerikanischen Verhältnissen – einer Warnung, die auch heute noch häufig in Medien und Politik geäußert wird.

Das Schlagwort »Amerikanisierung« verbreitete sich bereits im 19. Jahrhundert und erlebte nach dem Ersten Weltkrieg einen ersten Höhepunkt, als US-Kulturgüter in Europa einen neuen Markt erschlossen. Jazzplatten, Kinofilme, Mode und Make-up: Bei Verbrauchern waren die neuen Produkte beliebt, zahlreiche Publizisten hingegen verachteten sie. Sie identifizierten darin das Übergreifen amerikanischer Kulturlosigkeit auf Europa. Jeder Mensch konnte davon betroffen sein – durch Musikgenuss, Konsum oder etwa das Tragen einer als amerikanisch bewerteten Kurzhaarfrisur.

Die Konjunktur amerikakritischer Urteile reflektierte nur teilweise die tatsächlichen Bedingungen in den USA, meint der Historiker Harwardt. Amerika diente stattdessen als Projektionsfläche für die Auseinandersetzung mit den Folgen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung. Massenkonsum oder demokratische Mitbestimmung – solche Phänomene brachen gesellschaftliche Hierarchien und bisherige Normen auf. Das provozierte Widerspruch.

Besonders konservative und rechte Intellektuelle sahen in der Ausbreitung »amerikanischer« Lebensweisen eine Konkurrenz, die die kulturelle Hoheit der eigenen Elite bedrohte. Das als geistig gehaltvoll und abendländisch konzipierte Europa, zu dessen geistigem Zentrum sie Deutschland erklärten, stand für sie im direkten Gegensatz zum materialistischen Westen.

Sie fürchteten allerdings nicht nur massenhaften Konsum, sondern auch massenhafte Mitbestimmung: die Demokratie. Bereits im Kaiserreich warnten Schriftsteller vor den Gefahren der »Gleichmacherei« und forderten die USA auf, sich angesichts der eigenen flachen Kultur in Bescheidenheit zu üben, statt missionarisch für die Demokratie zu werben. Diese Ablehnung verfochten sie auch nach dem Systemwechsel 1918.

Demokratie gilt heute nicht mehr als gefährliche Folge der Amerikanisierung, stattdessen aber der grenzenlose Konsum, kommerzialisierte Gesundheitssysteme, kommerzialisierte Musik, Raubtierkapitalismus, fehlende Persönlichkeitsrechte in der Presse, teure Wahlkämpfe, Spionage, Überwachung. Kurz: Amerikanisierung ist ein altes Schlagwort, das immer noch funktioniert, weil sein Bedeutungsgehalt durch beliebige Probleme ausgetauscht werden kann, die – zu Recht oder zu Unrecht – mit den USA in Verbindung gebracht werden.

Die USA als Weltpolizei

Negative Amerikabilder lassen sich also nicht immer auf tatsächliche Handlungen oder Charakteristika der USA zurückzuführen. Vielmehr verkörpern sie oft ein imaginiertes Amerika, für das eine genaue Faktenkenntnis nicht notwendig ist. Dennoch handelt es sich nicht grundsätzlich um unwahre Behauptungen, viele haben einen wahren Kern, an dem sich die Kritik festmacht – häufig jedoch in emotionalisierter oder übersteigerter Form.

Beispiel internationale Politik: Mit der Rolle der Supermacht verbindet sich häufig der Vorwurf, die USA mischten sich als »Weltpolizei« in die Angelegenheiten anderer Nationen ein. Viele behaupten, dass Amerika nicht Teil der Lösung, sondern die eigentliche Ursache der Konflikte sei. Meinungen wie diese lassen sich beispielsweise zum Nahen Osten oder dem Konflikt um die Ostukraine finden.

Solche Deutungen vernachlässigen jedoch zentrale Faktoren wie etwa die Geschichte der Konflikte, an denen – wie im Nahen Osten – Europa oft ursächlich beteiligt ist. Oder die Tatsache, dass viele Staaten die USA tatsächlich als Schutzmacht verstehen. Zugleich problematisieren viele Kritiker die geopolitischen Ambitionen anderer Länder weniger vehement oder rechtfertigen beispielsweise russisches Machtstreben mit dem Verweis auf die US-Außenpolitik.

Amerikakritische Stereotype haben demnach eine besondere Funktion: Sie bieten einfache Deutungen für sehr komplexe Problemlagen. Die USA erscheinen in solchen Darstellungen nicht als widersprüchlicher Akteur, der zwischen eigenen Interessen, Werten und Kooperationsverpflichtungen abwägen muss, sondern schlicht als Problemverursacher.

Allerdings ist nicht jede Kritik an der US-Außenpolitik als antiamerikanisch zu verstehen. Denn vielfach thematisiert diese das Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit der eigenen Werte, meint etwa der Schweizer Historiker Georg Kreis. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieben nur die USA als Weltmacht übrig, an die viele Menschen aufgrund ihrer demokratischen Verfassung auch höhere Ansprüche stellen als an Autokratien.

Das zeigte sich etwa an den Debatten zum Irakkrieg. Gerade zu Beginn des Konfliktes demonstrierten Zehntausende auch in Europa gegen den Militäreinsatz unter George W. Bush. Dabei verwendeten sie zwar durchaus negative Klischees wie das der überheblichen Amerikaner. Allerdings war die Stoßrichtung der Proteste gerade nicht antimodern oder antiliberal. Stattdessen ging es den Demonstranten um ein positives Bekenntnis zum Völkerrecht. Sie warfen den USA vor, sich von westlichen Werten zu entfernen – mit diesem Vorwurf habe sich daher gewissermaßen der Anspruch verbunden, die besseren Amerikaner zu sein.

Antiamerikanismus ist eher Schlagwort als analytische Kategorie

Bei vielen internationalen Konfrontationen lassen sich in deutschen Medien beide Seiten finden: Positionen, die einseitig den USA die Schuld zuweisen – und solche, die Kritik am US-Handeln prinzipiell mit dem Vorwurf des »Antiamerikanismus« zurückweisen. Allerdings ist der Begriff analytisch problematisch. Zwar existieren sehr viele akademische Arbeiten zum Thema, dennoch herrscht keineswegs Einigkeit, was als Antiamerikanismus bezeichnet werden kann. Die meisten Autoren betonen, dass die Abwertung Amerikas im Gegensatz zu anderen Diskriminierungen nicht auf Minderheiten, sondern auf einen als mächtig oder gar übermächtig porträtierten Gegenspieler ziele. Inwieweit sich der Begriff Antiamerikanismus jedoch als Forschungskategorie eignet, ist umstritten.

So verstehen einige Autoren darunter eine Ansammlung unbestimmter Abneigungen, die sich zu einer Art moderner Ideologie entwickelt hätten, die in ganz Europa verbreitet sei. Andere Wissenschaftler bemängeln hingegen, dass eine solche Definition keine wertfreie Forschung ermögliche, sondern ihrerseits Vorannahmen treffe und methodisch nicht präzise genug sei. Der US-Historiker Max Friedman warnt sogar vor dem Missbrauchspotenzial des Begriffs. Ihm zufolge dient der Vorwurf des Antiamerikanismus häufig als Schlagwort, das Kritik delegitimieren soll – sowohl nach außen als auch US-intern. Besonders Rechtskonservative würden diesen nutzen, um unliebsame Bewegungen als unamerikanisch zu diskreditieren.

Darius Harwardt von der Universität Duisburg-Essen schlägt daher in seiner aktuellen Untersuchung vor, eher von Amerikabildern zu sprechen, die negativ oder aber auch positiv ausfallen können. Denn ebenso wie abwertende Sichtweisen konkurrieren bereits seit Jahrhunderten enthusiastische Bezugnahmen auf Amerika: Schon Goethe deutete das Fehlen einer jahrhundertelangen Geschichte nicht als Mangel, sondern als Chance.

Amerikabilder bleiben aber selbst innerhalb politischer Lager nicht stabil, sondern bilden eher eine Sammlung an Deutungen, die von Personen oder Strömungen nach Bedarf instrumentalisiert wird. Linke Ablehnung zielt häufig auf die US-Außenpolitik und kritisiert deren imperialistische Züge. Rechte und (Rechts-)Konservative wehren sich hingegen traditionell gegen die USA als Konkurrenz zur eigenen kulturellen Vorherrschaft und gegen gesellschaftlichen Liberalismus. Während des Kalten Krieges milderten sich ihre negativen Deutungen ab – der neue Hauptgegner war die Sowjetunion. Viele Rechtsintellektuelle verbanden mit einzelnen Präsidenten wie etwa Reagan oder Trump die Hoffnung auf einen neuen Konservatismus, der sogar Orientierungspunkt für die deutsche Politik sein sollte. In den Einwanderungsdebatten der 90er hingegen dienten die USA wieder stärker als Negativbeispiel.

Selbst die Nationalsozialisten hatten eine sehr wechselhafte Sicht auf die USA. Hitler bewunderte die hochentwickelte Industrie, die etwa aus dem Luxusgut Auto ein Massenprodukt gemacht hatte. Auch der Massenkultur stand er nicht ausschließlich negativ gegenüber. Verglichen mit Polen oder Frankreich galt Amerika zudem lange als relativ unpolitisches Thema. Daher konnten sich Comics, Filme und Musik zunächst weiterhin verbreiten. Selbst beim Versuch, eine spezifisch deutsche Unterhaltungsmusik zu schaffen, bildeten US-Produktionen häufig die Grundlage und erhielten nur deutsche Texte – oder wurden instrumental gespielt.

Als die USA im Zweiten Weltkrieg jedoch nicht wie erhofft neutral blieben, verbot die NS-Führung zahlreiche US-Kulturimporte und instrumentalisierte negative Amerikabilder. Die Propaganda warnte vor Dekadenz, dem moralischen Verfall oder der Vermischung der Rassen. Wochenschauberichte von Demonstrationen in den USA sollten beweisen, dass ihr wirtschaftlicher und politischer Niedergang bevorstehe. In Anbetracht der wechselhaften Geschichte diese Phänomens interessiert sich die Forschung zu Antiamerikanismus und amerikakritischen Einstellungen weniger für den Wahrheitsgehalt einzelner Klischees. Stattdessen erkennt sie deren Funktion: die eigene Identität stärken, interne Konflikte projizieren, Unterlegenheitserfahrungen kompensieren – oder aber Feindbilder schaffen.

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Fußnoten

  1. Vgl. u.a. George Conway, Twitter-Eintrag, 28.1.2020, 14:03 Uhr.
  2. Knappertsbusch, Felix: Antiamerikanismus in Deutschland. Über die Funktion von Amerikabildern in ethnozentrischer und nationalistischer Rhetorik, Bielefeld 2016, S. 383.
  3. Allerdings haben beide ein ambivalentes Amerikabild, das nicht nur negative Wertungen enthält.- Vgl. Harwardt, Darius: Verehrter Feind. Amerikabilder deutscher Rechtsintellektueller in der Bundesrepublik, Frankfurt/Main 2020, S. 86ff.
  4. Insbesondere im Zuge des Eintritts der USA in den Ersten Weltkrieg warnten deutsche Autoren vor deren demokratisch-missionarischem Anspruch.- Ebd., S. 92ff.
  5. U.a. Knappertsbusch 2016, Kapitel 6.
  6. Jaecker, Tobias: Hass, Neid, Wahn. Antiamerikanismus in den deutschen Medien, Frankfurt/Main 2014, S. 349ff.
  7. Kreis, Georg: Überlegungen zum Antiamerikanismus, in: ders. (Hg.): Antiamerikanismus. Zum europäisch-amerikanischen Verhältnis zwischen Ablehnung und Faszination, Basel 2007, S. 9-23.
  8. Kreis 2007, S. 20ff.
  9. Vgl. Harwardt 2020, Kapitel 2.8.
  10. Vgl. Friedman, Max P.: Rethinking Anti-Americanism, Cambridge 2012.
  11. Allerdings sollte man ihm zufolge amerikafeindliche Haltungen auch klar als solche benennen.
  12. Harwardt 2020, S. 114-123.

Autor:innen

Geboren 1988, von 2017 bis 2022 bei KATAPULT und Chefredakteur des KNICKER, dem Katapult-Faltmagazin. Er hat Politik- und Musikwissenschaft in Halle und Berlin studiert und lehrt als Dozent für GIS-Analysen. Zu seinen Schwerpunkten zählen Geoinformatik sowie vergleichende Politik- und Medienanalysen.

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