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Wahlplakatbusting

Kunst oder Kritik?

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Wahlplakate sind, auch in Zeiten zunehmender digitaler Kommunikation, nach wie vor ein unverzichtbares Element politischer Werbung und Überzeugung im Rahmen von Wahlkampagnen. Die Bedeutung von Wahlplakaten scheint aufgrund der Verbreitung anderer Kommunikationswege und Marketingstrategien abzunehmen, und auch ist ihre Bedeutung als Einzeltexte zu relativieren, weil sie im engen Zusammenhang mit der Wahlkampagne zu verstehen sind. Dennoch ist derzeit die Reichweite von Wahlplakaten und ihr Potenzial, Aufmerksamkeit für den Wahlkampf, für die Parteien und ihre Hauptthemen zu erzeugen, nach wie vor als so hoch einzuschätzen, dass Parteien auf Plakatwerbung nicht verzichten können.

Die Textsorte Wahlplakat verfügt über einige zeitlich stabile Konstanten, unterliegt aber auch beträchtlichem Wandel. Ein typisches Wahlplakat weist den Namen der Partei auf, einen Slogan sowie ein bildliches Element, das den Inhalt und die Aufforderung des Slogans unterstützt bzw. verstärkt. Neuere Plakate zeichnen sich durch eine einheitliche Gestaltung der Parteilogos aus, die als Strategie für eine klar identifizierbare »Visual Identity« zu verstehen ist, also Wiedererkennbarkeit erzeugt. Damit verweist sie auf die Nähe zur Produktwerbung und die Professionalisierung politischer Kommunikation.

Weiterhin zeigen Wahlplakate seit den 70er Jahren einen Wandel von der direkten Aufforderung hin zu mehr Kreativität, Ironie und Anspielung, besonders wenn es um den Angriff auf den politischen Gegner geht.

Mit Blick auf die visuelle Gestaltung lässt sich ein Wandel beobachten von der überwiegenden Anordnung der Textelemente über und unter dem Bildelement hin zum seitlichen Einschub. In Bezug auf fotografierte Personen hat die Präsenz von SpitzenkandidatInnen der Parteien im Laufe der Jahre insgesamt eher zugenommen. Weiterhin zeigen Wahlplakate seit den 70er Jahren einen Wandel von der direkten Aufforderung hin zu mehr Kreativität, Ironie und Anspielung, besonders wenn es um den Angriff auf den politischen Gegner geht.

Werbung für Wahlwerbung

Bis zum Jahr 2002 haben die meisten Parteien noch Einzelplakate drucken lassen; seit 2005 ist eine Hinwendung aller Parteien zur Plakatserie zu verzeichnen. Bei Plakatserien wiederholen sich über verschiedene Plakate hinweg mehrere der folgenden Gestaltungselemente: räumliche Anordnung der Text- und Bildelemente, Formulierungen, Slogan, Farbgestaltung (Hintergrund, Schrift), Schriftart und -größe.

Wahlplakate, die sich im öffentlichen Raum befinden – auf Plakathaltern und Plakatwänden an gut wahrnehmbaren Stellen –, erscheinen als pointierte wie isolierte Texte. Sie stehen aber in engem Bezug zu weiteren Texten innerhalb der gleichen Wahlkampagne und sind ohne ein Minimum an anderweitig verbreiteter programmatischer Zusatzinformation kaum zu verstehen.

Neben diesem Zusammenspiel von Wahlkampftextsorten innerhalb von Kampagnen ist auch ein Zusammenspiel über verschiedene Medien hinweg zu beobachten, indem Wahlplakate von den Parteien online weiterverbreitet und wiederverwendet werden. Nicht nur die Parteien verkünden das Erscheinen ihrer Wahlplakate online, auf ihren Blogs, Facebook-Seiten und Homepages und über Twitter, auch die Presse greift in ihrer Wahlkampfberichterstattung auf Wahlplakate zurück. Die Parteien machen inzwischen selbst aus dem Veröffentlichen ihrer Plakate eine öffentliche Veranstaltung, zu der die Presse eingeladen wird.

»Anti-Wahlplakate«

Es geschieht allerdings häufig noch etwas anderes mit Wahlplakaten, sowohl analog mit denen, die sich an Plätzen im öffentlichen Raum finden, als auch digital: Sie werden modifiziert und persifliert, ein Phänomen, das auch als »Adbusting« oder »Plakatbusting« bezeichnet wird. Solche Reaktionen verweisen darauf, dass Parteien hier nicht einfach nur ihre Themensetzungen zu erkennen geben, ihre AnhängerInnen mobilisieren und für den Wahlkampf Aufmerksamkeit erzeugen.

Diese »plakativen« Themensetzungen werden auch von einem hohen Maß an (kritischer) Aufmerksamkeit begleitet. Die digital modifizierten Wahlplakate werden im Internet verbreitet, aber auch die analogen Plakatbustings werden fotografiert und über soziale Medien geteilt. Besonders bei der Google-Bildersuche nach Wahlplakaten der großen Parteien sowie der NPD taucht eine Vielzahl sowohl abfotografierter analoger wie auch digitaler Persiflierungen auf.

Modifizierungen können auf verschiedene Arten erreicht werden und sowohl das Text- als auch das Bildelement betreffen, zum Beispiel durch das Verdecken oder Hinzufügen von Elementen oder durch das Hinzufügen von Kommentaren, die mit dem Plakat in einen Dialog treten. Damit kann der Wahlkampf oder Wahlkampfkommunikation als solche kritisiert werden, wie in dieser Reinszenierung eines CDU-Wahlplakates:

Kritik kann sich auf die politische Programmatik der Partei beziehen, wie in den folgenden Beispielen, indem das NPD-Plakat dialogisiert und die Aussage des FDP-Plakates durch das Verdecken und Hinzufügen von Wörtern modifiziert wird:

Weiterhin kann sich die Kritik auf politisches Handeln der entsprechenden Partei in der Vergangenheit beziehen, wie mit der folgenden Modifizierung des Textelementes eines Wahlplakates der Grünen:

Bei analogen Plakatbustings kann auch die räumliche Situierung der Wahlplakate für Kritik nutzbar gemacht werden. Zum Beispiel wurden an einigen Orten Plakate der AfD sehr weit oben an Laternenmasten angebracht. Darunter haben Kritiker handgeschriebene Pappplakate angebracht, welche einen Kommentar zur räumlichen Positionierung der AfD-Plakate mit Kritik an der Partei verbindet: »Lügen haben lange Leitern«, und: »Je höher das Schild, desto platter der Spruch«.

Wahlslogans werden oft als hohle Phrasen wahrgenommen. Das folgende Beispiel gezielt produzierter Gegenentwürfe zeigt jedoch, dass sich selbst in der notwendigen Verdichtung auch aus plakativen Versatzstücken noch unterschiedliche Gegenaussagen produzieren lassen, die die Aussage des Originals unterwandern.

Ein Plakat der CDU von 2009 zeigt den damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble mit dem Slogan: »Wir haben die Kraft für Sicherheit und Freiheit«. Die – offenbar den politischen Zielsetzungen der Piratenpartei nahestehende – Seite netzpolitik.org hat ihre Anhänger im August 2009 dazu aufgerufen, dieses Plakat zu modifizieren. Dieser Aufruf brachte eine Vielzahl von Modifikationen hervor, welche die von dem originalen Wahlplakat behauptete Fähigkeit der Regierungspartei, eine Balance zwischen Freiheit und Sicherheit wahren zu können, zurückweisen. Sie verbinden die Partei, die Person Schäubles und das Amt des Innenministers ganz offensichtlich mit Überwachung und Einschränkung persönlicher Freiheit. Eine Auswahl:

»Wir haben die Kraft für die totale Überwachung«
»Wir haben die Kraft für Sicherheit ohne Freiheit«
»Wir haben die Kraft für Zensur und Überwachung«

Eine Google-Bildersuche nach »Wahlplakate CDU 2009« liefert Hinweise auf weitere Modifikationen. Diese wählen den gleichen Ansatzpunkt und beweisen zugleich das Interesse an dem an sich nicht besonders aufsehenerregenden Plakat und die Lust an der Kritik. Einige Beispiele:

»Wir versprechen Ihnen: Freiheit stirbt mit Sicherheit«
»Wir haben Zugriff auf Ihre Daten im Polizeistaat«
»Wir haben die Kraft aus der Freiheit dich zu erlösen«

Abgesehen von dem Hinzufügen von Brillen, Bärten und dergleichen auf analogen Plakatbustings scheint sich die größere Zahl der Modifikationen auf der Textebene abzuspielen. Dabei kann das Bild oder visuelle Design als Wahlkampfkommunikation erkennbar erhalten bleiben. Das folgende Beispiel eines AfD-Plakatbustings verändert den Text durch gleichzeitiges Hinzufügen und Verdecken; der veränderte Text in dem Beispiel des SPD-Wahlplakates lässt die in Szene gesetzte Wahlkampfkommunikation als solche absurd erscheinen.

Ein besonders gelungenes Beispiel für Modifikation des Bildelements unter Beibehaltung des Textelementes stellt die digitale Bearbeitung zweier NPD-Wahlplakate aus dem Wahlkampf 2013 dar. »Maria statt Scharia« kontrastiert eine junge Frau mit blonden Haaren und blauen Augen, die direkt in die Kamera blickt, mit einer Frau, deren dunkle Augen zwischen einem Kopftuch und Gesichtsschleier seitlich hervorblicken. Ein weiteres Plakat aus der Serie wirbt für die NPD mit dem Slogan »Natürlich deutsch«, auf dem ein kleines Mädchen mit blauen Augen und blonden Haaren in die Kamera lächelt.

Auf beide Plakate nimmt ein Gegenentwurf Bezug, der eine stark übergewichtige Frau zeigt, die barfüßig und breitbeinig in einem sehr kurzen Kleid oder Oberteil auf einer Parkbank sitzt und sich auf die Fläche zwischen ihren Füßen übergibt. Der Slogan hierzu lautet »Maria statt Scharia. Natürlich deutsch«. Das NPD-Parteilogo ist ebenfalls in das Bild integriert.

Die Veränderung des Bildes untergräbt erstens mit der ungepflegten und offenbar der Selbstkontrolle ermangelnden Person im Bild gängige Assoziationen mit dem Namen Maria. Zweitens untergräbt sie die beabsichtigten positiven Assoziationen mit der jungen, blonden Frau durch den Kontrast mit einer weniger gepflegt-attraktiven Erscheinung. Drittens lädt das Plakat dazu ein, die Blöße der Frau als kulturelle Errungenschaft infrage zu stellen. Viertens schließlich durchkreuzt es die positive Assoziation von »natürlich«, denn auch bei dem Erbrechen handelt es sich um einen natürlichen Vorgang.

Plakatbusting als Partizipation?

Ein Blick auf Plakatbustings zeigt, dass Wahlplakate nicht einfach nur von Parteien als verdichtete Kernwerbeelemente von Wahlkampagnen in die Welt gestellt werden und dort ihre Überzeugungskraft ausstrahlen. Wahlplakate treffen auf unterschiedliche politische Einstellungen, auf Politikverdrossenheit und auf unter Umständen kritische Voreinstellungen, was sich in Gegenreaktionen, Widerspruch und Karikierungen äußert.

Dabei fällt vor allem auf, dass die hier zum Vorschein tretenden Arten der Aneignung von Wahlkampfkommunikation die monologisch ausgerichtete Textsorte »Wahlplakat« gleichsam in einen Dialog überführen. Mehr noch: Da nur in den wenigsten Fällen damit zu rechnen ist, dass die Parteien bzw. die PolitikerInnen in diesen scheinbaren Dialog einsteigen, haben wir es mit einem Trialog zu tun. Adressaten der »neuen« Plakate sind die vielen anderen PassantInnen, also ein dritter Kommunikationsteilnehmer. Dass dies auch auf diese Weise wahrgenommen wird, zeigen die vielen Reaktionen in den sozialen Netzwerken beziehungsweise auf den extra für diese Zwecke eingerichteten Internetplattformen.

Inwieweit es sich beim Plakatbusting aber tatsächlich um so etwas wie (konstruktive) Kritik oder Protest handelt, ist fraglich. Um diese Frage zu beantworten, müsste man etwas über die Akteure wissen, was freilich schwierig ist, da die Aktionen illegal sind. Immerhin gibt es aber bereits Reaktionen einzelner PolitikerInnen bzw. Parteien, die diesen kreativen Umgang durchaus zur Kenntnis nehmen und beispielsweise die »Dialogangebote« in den sozialen Netzwerken annehmen oder – wie Die PARTEI – sich an den »Modifikationen« plakativ beteiligen.

Autor:innen

University of Reading, Großbritannien

Forschungsschwerpunkte
Politische Kommunikation
Schweigen, Verschweigen und Tabu im öffentlichen Diskurs
Vergleich politischer und historischer Schlagwörter in verschiedenen Sprachen

Universität Duisburg-Essen

Forschungsschwerpunkte
Politische Kommunikation
Textlinguistik und Stilistik
Medienlinguistik
Multimodalität

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