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Medienforschung

Haben Fake News die Bundestagswahl 2017 beeinflusst?

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Im letzten Jahr fand im baden-württembergischen Schorndorf eine islamische Grapschparty statt. Das jedenfalls behauptete die AfD.[1] Stimmt nicht. Fake News. Und trotzdem war ihre Reichweite in den sozialen Medien enorm, viele Menschen glaubten die Information. Wie entstand die Falschmeldung?

Auslöser war eine Ungenauigkeit der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Sie fasste eine Meldung des Polizeipräsidiums Aalen zum Volksfest in Schorndorf zusammen, in der es ursprünglich hieß: »Im Schlosspark versammelten sich in der Nacht zum Sonntag, zwischen 20:00 Uhr und 03:00 Uhr ungefähr bis zu 1.000 Jugendliche und Junge [sic] Erwachsene. Bei einem großen Teil handelte es sich wohl um Personen mit Migrationshintergrund.«[2] Da es laut Meldung in der Folge auch zu Sachbeschädigungen, Flaschenwürfen, Körperverletzungen und vier sexuellen Belästigungen kam, an denen auch drei afghanische Asylbewerber beteiligt gewesen sein sollen, machte die DPA daraus 1.000 randalierende Jugendliche. Die DPA gestand den Fehler aber ein, korrigierte ihre Pressemitteilung (teilweise) und entschuldigte sich. Man kann also von keiner vorsätzlichen Falschmeldung ausgehen.[3] Sie legte aber die Basis für daraus abgeleitete Fake News, wie beispielsweise die der AfD, die die Vorkommnisse auf dem Volksfest zur »islamischen Grapschparty« stilisierte.

Fake News sind gezielt verbreitete falsche oder irreführende Informationen und Dekontextualisierungen, aber auch falsche Interpretationen und Manipulationen wahrer Informationen, oder völlig frei erfundene Inhalte, so definiert es die neue Studie der Stiftung Neue Verantwortung.[4] Diffamierungen der etablierten Presse in Trumpschem Stil oder Kampfbegriffe wie »Lügenpresse« fallen nicht darunter. »Poor Journalism«, also Falschinformationen aufgrund journalistischer Fehler, sowie Clickbaiting oder versehentliche falsche Meldungen wie im Falle der DPA zählen ebenfalls nicht zu Fake News.

Die Berichterstattung über das Volksfest in Schorndorf ist einer von zehn Fällen von Fake News, die die Wissenschaftler in der Studie untersuchten. Der Fall erhielt mit Abstand die größte digitale Reichweite. Es wurden Reaktionen von etwa einer halben Million Nutzern in Form von Teilungen, Likes und Kommentaren gemessen. Für ihre Studie analysierten die Wissenschaftler mithilfe eines onlinegestützten Monitoring- und Analyse-Tools insgesamt 45.000 Nachrichtenseiten, alle öffentlichen deutschsprachigen Twitter-Profile und Facebook-Seiten, 92.000 deutschsprachige Blogs, 1.700 deutschsprachige Foren und Youtube. Sie wählten für die Untersuchung schließlich zehn verschiedene Fälle mit besonders großer, nationaler Reichweite über einen Zeitraum von sechs Monaten bis zur Bundestagswahl am 24. September 2017 aus. In acht der zehn Fälle ging es in den Fake News um das Thema Flüchtlinge.

Anders als in den USA spielten russische Akteure bei der Verbreitung von Fake News nur eine untergeordnete Rolle. Auch wurden keine bedeutenden Vorgänge aus dem linkspopulistischen Meinungsspektrum gemessen. Die Verbreitung fand größtenteils durch wenige, reichweitenstarke Akteure statt, also nicht von automatisierten Fake-Accounts, sogenannten Social Bots. Allein die zehn stärksten Verbreiter erzeugten durchschnittlich 56 Prozent aller Aufmerksamkeit. Die AfD war in sieben von zehn Fällen daran beteiligt. In zwei Fällen brachten die Innenministerien der CDU/CSU aus Baden-Württemberg und Bayern Fake News in Umlauf. Topverbreiterin war Erika Steinbach, sie teilte fast alle Fälle bei Twitter. Neben den sozialen Medien waren in sechs Fällen auch die beiden Springer-Ableger Bild.de und Welt.de an der Verbreitung beteiligt.

Welchem Schema folgt die Verbreitung von Fake News?

Auslöser für Falschmeldungen war häufig eine unprofessionelle oder ungenaue Öffentlichkeitsarbeit, sei es vonseiten der DPA, der Polizei oder anderer staatlicher Stellen. Vor allem rechtspopulistische Akteure nutzten Ungenauigkeiten offizieller Quellen und instrumentalisierten sie für ihre Kampagnen: Missverständliche Formulierungen wurden aus dem Zusammenhang gerissen und so schließlich zur Manipulation, also zu Fake News.

Eine US-amerikanische Studie untersuchte vor kurzem die Verbreitung von Fake News auf Twitter.[5] Dabei fanden die Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology heraus, dass Fake News sich wesentlich weiter, schneller und tiefer verbreiten als andere Nachrichten. Gezielte Desinformation über politische Themen erzeugte demnach mehr Aufmerksamkeit als falsche Nachrichten über Terrorismus, Naturkatastrophen oder Wissenschaft. Nutzer sozialer Medien teilten und verbreiteten Nachrichten eher, wenn diese aktuell seien oder Emotionen wie Angst, Ekel und Verwunderung hervorriefen.
Insgesamt nutzte die politische Rechte Fake News auch zur Themenplatzierung. Den von ihr gesetzten Themen wurde dadurch zunehmend mediale Aufmerksamkeit zuteil. Laut einer Auswertung des »Spiegels« zum TV-Duell ging es selbst bei dem größten medialen Ereignis im Wahlkampf hauptsächlich um die Themen Migration, Abschiebung und Islam. Andere Streitfragen wie Klimapolitik, Pflege und Gesundheitspolitik, Rüstung oder der Umgang mit Rechtsextremismus kamen überhaupt nicht vor.[6]

Bekämpfung oder Richtigstellung von Fake News – sogenanntes Debunking – wird laut der Studie der Stiftung Neue Verantwortung in den sozialen Medien weniger stark wahrgenommen und verbreitet. Ein Beispiel dafür ist der Faktenfinder der Tagesschau, der zwar nicht unumstritten ist, es sich jedoch zum Ziel gesetzt hat, »Phänomene wie politische Propaganda, Gerüchte, Lügen und Halbwahrheiten im Internet zu sammeln und richtig zu stellen [sic].«[7] Dass Debunking weniger Aufmerksamkeit erregt, liegt einerseits an der Funktionslogik sozialer Medien, in denen sich sensationelle, emotionale Nachrichten eher verbreiten als rationale. Andererseits ist es durch die Zeitverzögerung, mit der die Richtigstellung einer Fake News erscheint – gewöhnlich 24 bis 72 Stunden –, schwierig, in dieselben Kommunikationsräume und Echokammern vorzudringen.

Der Einfluss von Fake News auf die Bundestagswahl

Verglichen mit den USA hatten Fake News in Deutschland verhältnismäßig überschaubare Reichweiten. Soziale Medien haben laut Studie hierzulande als Informationsquelle noch eine geringe Bedeutung. Auch das Vertrauen in das hiesige Mediensystem sei höher als in den USA. Deshalb stoßen Fake News in Deutschland eher auf geringere Resonanz.

Anders als bei den US-Präsidentschaftswahlen wurden hier nicht die Spitzenkandidaten und Parteien selbst in Fake News thematisiert. Falschmeldungen wurden eher dazu genutzt, bestimmte Themen in die öffentliche Debatte zu tragen.

Eine Ausnahme bildet ein Zitat von Martin Schulz bei einer Rede an der Heidelberger Universität im Juni 2016. Dort hatte er über Integration gesprochen und wörtlich gesagt: »Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold. Es ist der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa. Ein Traum, der uns irgendwann verloren gegangen ist.«[8] Im TV-Duell gegen Merkel wurde er vom Journalisten Claus Strunz darauf angesprochen und gefragt, ob er denn bei seiner Aussage bleiben würde, dass »Flüchtlinge besser als Gold«[9] seien – ein verkürztes Zitat, das schon vorher durch rechtspopulistische Nachrichtennetzwerke geisterte. Darauf entgegnete Schulz, er müsse das Zitat schon vollständig wiedergeben. Laut Studie ein typisches Beispiel für die Funktionsweise von Fake News und wie man ihnen entgegentreten kann.

Die Rolle der (sozialen) Medien

Eine andere Umfrage der Stiftung Neue Verantwortung direkt nach der Bundestagswahl untersuchte die Glaubwürdigkeit, die den Medien von verschiedenen Wählergruppen zugemessen wird.[10] Hielten 63 Prozent der befragten Deutschen die Medien für eher oder sehr glaubwürdig, unterschieden sich diese Werte jedoch deutlich von den Werten derjenigen, die bei der Wahl ihr Kreuz bei der AfD gemacht hatten. Nur 26 Prozent der befragten AfD-Wähler hatten Vertrauen in die Medien – 70 Prozent nicht. Vergleichsweise viele AfD-Wähler, nämlich 16 Prozent, gaben soziale Medien als Hauptinformationsquelle an, im überparteilichen Durchschnitt waren es nur 6 Prozent. Das ist insofern problematisch, als dass Fake News ein Phänomen der sozialen Netzwerke sind. Sie schaffen es in der Regel nicht durch den redaktionellen Prozess eines klassischen, investigativen Journalismus, so die Studie. Daher laufen Personen, die sich von klassischen Medien abwenden und nur über soziale Medien informieren, Gefahr, mit einer großen Menge ungefilterter Kommunikation konfrontiert zu werden. Dabei sind sie häufiger Desinformation und Propaganda ausgesetzt, auch weil Grenzen zwischen Werbung, Unterhaltung, Propaganda, Information und Falschinformationen dort immer mehr verschwimmen.

Bedenklich ist vor diesem Hintergrund, dass alternative digitale Medien im Vergleich zu den klassischen noch immer größtenteils unreguliert sind. Facebook hat für das erste Quartal 2018 zum ersten Mal einen Bericht über die Durchsetzung seiner Gemeinschaftsstandards veröffentlicht.[11] Darin will das Unternehmen zum einen aufklären, welche Standards überhaupt gelten und zum anderen, welche Maßnahmen es gegen Verstöße ergriffen hat. Demnach wurden im ersten Quartal 2018 Maßnahmen gegen fast 1,5 Milliarden Nutzer und Posts ergriffen, die gegen diese Standards verstoßen hatten. Dabei wurden unter anderem 837 Millionen Spamnachrichten entfernt und 583 Millionen Fake-Accounts gelöscht.

Fake News hingegen bleiben laut Facebook von diesen Aktionen ausgeschlossen: »Wir möchten die Menschen dabei unterstützen, stets informiert zu sein, ohne die produktive öffentliche Diskussion zu behindern. Zudem ist es nur ein schmaler Grat zwischen Falschmeldungen und Satire oder Meinungen. Daher entfernen wir Falschmeldungen nicht von Facebook, sondern reduzieren stattdessen ihre Verbreitung erheblich, indem wir sie weiter unten im News Feed anzeigen.«[12] Um die Verbreitung einzudämmen, solle laut Facebook eine informierte Gemeinschaft mit Nachrichtenkompetenz aufgebaut werden, die an dem Prozess beteiligt wird und selbst entscheidet, was gelesen, für glaubwürdig befunden und geteilt wird.

Medienkompetenz ist angesichts der gehäuften Verbreitung von Falschmeldungen zur demokratischen Notwendigkeit eines jeden Bürgers geworden. Denn laut der vorgestellten Studie ist das Thema Fake News nur ein Symptom tiefgreifender gesellschaftlicher Probleme, wie aufkommender Rechtspopulismus oder Postfaktizität. Obwohl es für einen direkten Einfluss von Fake News auf die Bundestagswahl 2017 keinerlei Anzeichen gab und auch die Studie einen eindeutigen Medieneffekt nicht endgültig klären konnte, haben eine unkritische Berichterstattung und eine irrationale öffentliche Debatte im Vorfeld der Wahl Ängste über die Auswirkungen von Fake News eher bestärkt als entkräftet.

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