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Haltbarkeit von Produkten

Geplante Obsoleszenz oder willkommene Kurzlebigkeit?

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Wir stellen uns vor, es ist das Jahr 3017 nach Christi. Ein Archäologieteam befindet sich auf dem mittlerweile unbewohnten europäischen Kontinent und gräbt nach den Spuren des beginnenden 21. Jahrhunderts. Nachdem die Forscherinnen sich durch die meterdicken Schichten der letzten Eiszeit gegraben haben, finden sie Spuren einer vergangenen Zivilisation. Was graben unsere Nachkommen aus? Höchstwahrscheinlich einen riesigen Haufen Müll.

Ein großer Teil der analysierten Geräte funktioniert noch oder wäre sehr leicht reparierbar gewesen

3,5 Millionen Tonnen Abfall wurden im Jahr 2010 täglich auf der ganzen Welt produziert, bis 2025 soll sich diese Menge fast verdoppeln, bis 2100 verdreifachen. 2014 wurden allein in der EU pro Kopf und Tag 13,5 kg Müll erzeugt. Und ein großer, stetig wachsender Anteil davon wird auch in ferner Zukunft noch auffindbar und auch ziemlich giftig sein: Elektroschrott. Im kommenden Jahr werden weltweit voraussichtlich 50 Millionen Tonnen elektronischen Mülls anfallen.

Mit Bergen an Elektroschrott haben die Archäologinnen aus der Zukunft bereits gerechnet, sind ihre Urahnen doch für ihre Elektronikversessenheit bekannt. Doch ein Ergebnis der Ausgrabung überrascht sie: Ein großer Teil der analysierten Geräte funktioniert noch oder wäre sehr leicht reparierbar gewesen. Sie wurden zudem nur wenig und oft auch nur sehr kurz genutzt. Viele Fundstücke scheinen auch so schlecht und billig konstruiert zu sein, dass sich die Wissenschaftlerinnen aus der Zukunft wundern, dass sie überhaupt funktioniert haben. Und noch mehr wundert sie: warum man überhaupt Ressourcen dafür verbraucht hatte, etwas zu produzieren, dass kaum nützlich war. Was war da los bei den Menschen um die letzte Jahrtausendwende?

Hätten die Archäologinnen Zugang zu den digitalen Archiven der Zeitungen und Nachrichtenseiten des beginnenden 21. Jahrhunderts, wäre die Antwort auf ihre Frage so eindeutig wie einfach: Verantwortlich sind die Gerätehersteller. Eine inhaltliche Auswertung von rund 200 Beiträgen aus regionalen und überregionalen Zeitungen zum Thema Kurzlebigkeit seit 2000 zeigte, dass in der überwiegenden Mehrheit der Texte die sogenannte geplante Obsoleszenz die Hauptrolle spielt. Geplante Obsoleszenz, das ist nach der landläufigen Auffassung die bewusste – manche meinen sogar arglistige – Verkürzung der Lebensdauer von Produkten durch die Produktentwickler.

Der Dokumentarfilm »Kaufen für die Müllhalde« von Cosima Dannoritzer hat 2011 auf eindrucksvolle Weise einige historische und aktuelle Fälle gezeigt, in denen die technologische Forschung und Entwicklung allem Anschein nach dafür eingesetzt wurde, Konsumgüter eher kurzlebiger zu machen, als das Beste aus ihnen herauszuholen. Dieser Film hat international, aber insbesondere in Deutschland und deutschen Medien einen regen Diskurs ausgelöst. Das Thema ist seitdem ein Dauerbrenner, der unter anderem die Gründung von Vereinen wie MurksNeinDanke e.V. und verschiedene Forschungsprojekte wie die Studien des Umweltbundesamtes, aber auch Gesetzesinitiativen wie das französische Gesetz gegen geplante Obsoleszenz mit sich brachte.

Was viele dieser Aktivitäten mit der Darstellung in den Medien gemein haben, ist eine eher lineare Perspektive auf das Phänomen Obsoleszenz beziehungsweise kurzlebiger Gebrauchsgüter. Ihnen liegt häufig ein eher rationalistisches Bild von sowohl Herstellerinnen als auch Konsumentinnen zugrunde. Das heißt, ihnen wird nachgesagt, dass sie kalkulierte Entscheidungen treffen, um ihren Nutzen zu maximieren – sei es Nutzen durch finanziellen Gewinn oder durch reinen Genuss.

Geplante Obsoleszenz wird als alltägliche Erfahrung dargestellt, und weniger mit wissenschaftlichen Quellen bewiesen

Unterfüttert wird diese Perspektive insbesondere in den Mediendarstellungen durch immer wieder dieselben Beispielfälle, wie das Glühbirnen-Kartell, durch das in den 1930er-Jahren die Brenndauer von Glühbirnen reduziert wurde, oder die Manipulation von Drucker-Software, die die Anzahl der gedruckten Seiten bis zum Ausfall reduziert. Diese Fälle sind umfassend untersucht und relativ eindeutig, abgesehen davon wird die Beweislast aber eher über Anekdoten angereichert und weniger über wissenschaftliche Quellen. Geplante Obsoleszenz wird stattdessen vor allem als alltägliche Erfahrung dargestellt. Die Artikel beginnen häufig mit einem Satz wie »Wie jeder von uns schon einmal erlebt hat, gibt die elektrische Zahnbürste/der Drucker/der Mixer... kurz nach Ablauf der Gewährleistung den Geist auf.« Damit werden alle Leserinnen zu potentiellen Opfern der Arglist, die ihrem Ärger auch direkt Luft machen können, denn viele Artikel enden mit dem Verweis auf Internetseiten, wo »Murks« gemeldet werden kann.

Dass die Studien des Umweltbundesamtes oder anderer Institute bisher keine eindeutigen oder umfassenden Belege für ein System geplanter Obsoleszenz erbracht haben, wird zwar berichtet, führt aber zu keiner Wendung in der »Täter-Opfer-Erzählung«


Dass die Studien des Umweltbundesamtes oder anderer Institute bisher keine eindeutigen oder umfassenden Belege für ein System arglistig geplanter Obsoleszenz erbracht haben, wird in den Medien zwar berichtet, führt aber nicht zu einer signifikanten Wendung in der »Täter-Opfer-Erzählung«. Diese Form der Darstellung kann eine mögliche Erklärung dafür sein, dass Konsumentinnen in Umfragen ein etwas paradoxes Antwortverhalten zeigen. So zeigt unsere aktuelle Umfrage, dass 90 Prozent der Befragten glauben, manche Hersteller bauten ihre Geräte absichtlich so, dass sie kurz nach Ende der Gewährleistungsfrist von zwei Jahren kaputtgehen. Weit mehr als die Hälfte glaubt darüber hinaus, dass es egal sei, wie viel sie für Elektrogeräte ausgeben, da ohnehin alles frühzeitig nicht mehr funktioniert. Wenn Konsumentinnen jedoch gefragt werden, ob ihnen selbst schon einmal ein Gerät frühzeitig kaputtgegangen ist, verneinen dies über 60 Prozent. Und wird gefragt, welche Gründe für das Kaputtgehen vermutet werden, wird für alle genannten Geräte – außer Smartphones und Notebooks – am häufigsten angegeben, dass sie aufgrund zu erwartender Verschleißerscheinungen das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben.

Über 80 Prozent finden es schrecklich, dass viele ihrer Mitbürgerinnen neue Elektrogeräte kaufen, obwohl ihre alten noch funktionieren

Das heißt: Fast alle glauben, es gebe geplante Obsoleszenz, viele misstrauen daher den Herstellern, die Mehrheit hat es aber selbst noch nicht erlebt. Wenn man davon ausgeht, dass es in jedem Haushalt mindestens 50 elektronische Geräte gibt, diese aber die meiste Zeit zu funktionieren scheinen, dann ist geplante Obsoleszenz entgegen der Darstellung in Medien bei weitem keine alltägliche Erfahrung. Jedoch weisen nicht alle Verantwortungszuschreibungen in Richtung Hersteller: 94 Prozent der befragten Konsumentinnen denken, sie lebten in einer Wegwerfgesellschaft. Über 80 Prozent finden es schrecklich, dass viele ihrer Mitbürgerinnen neue Elektrogeräte kaufen, obwohl ihre alten noch funktionieren, und genauso viele glauben, dass auch die Werbung dafür sorge, dass Menschen immer wieder etwas Neues haben wollen.

Für circa ein Fünftel unserer Befragten ist ein kaputtes Gerät ein willkommener Anlass dafür, sich ein neues Gerät zu kaufen

Es scheint also insgesamt eine eher kulturpessimistische Wahrnehmung der modernen Gesellschaft zu geben. Diese Wahrnehmungen und Einstellungen können sich auch auf den eigenen Konsum auswirken: Je eher zum Beispiel an die Arglist von Herstellern geglaubt wird, desto geringere Lebensdauern werden erwartet und desto geringer ist die Bereitschaft, ein Gerät zu reparieren. Einige Konsumentinnen – im Schnitt circa ein Fünftel unserer Befragten – finden kurze Lebensdauern allerdings gar nicht problematisch: Sie sind gewissermaßen »Obsoleszenz-Komplizen«, weil für sie ein kaputtes Gerät ein willkommener Anlass ist, sich ein neues Gerät zu kaufen. Sie verbinden mit neuen Geräten Lebensqualität und zeigen sich in ihrem sozialen Umfeld gerne damit. Der Glaube an geplante Obsoleszenz als moralische Lizenz für den Mehrkonsum?

Auch wenn die Umfrage – ähnlich wie andere Studien – Hinweise dafür liefert, dass die Obsoleszenz-Debatte auch nach hinten losgehen kann, zeigt sie noch sehr viel eindeutiger andere Ursachen für den Wegwerfkonsum, die gleichzeitig Ansatzpunkte für Veränderung sind. Denn je höher die eigenen Kenntnisse über Produkte, ihre Herstellung und Funktionsweise sowie ihre Reparierbarkeit eingeschätzt werden, desto eher wird ein Produkt auch repariert, desto höher ist die Erwartung an die Lebensdauer und desto länger werden die Produkte genutzt.

Ein Drittel der Befragten glaubt beispielsweise, dass der Akku ihres Smartphones länger hält, wenn sie ihn immer komplett auf- und entladen

Mangelndes oder auch falsches Wissen zur richtigen Pflege und Wartung kann die Lebensdauer von Geräten beeinträchtigen. Nur rund die Hälfte der Befragten tut mit besonderer Pflege, Wartung oder sorgsamem Umgang aktiv etwas dafür, dass Smartphone und Waschmaschine länger halten. Und das, was sie tun, ist nicht immer richtig: Ein Drittel der Befragten glaubt beispielsweise, dass der Akku ihres Smartphones länger hält, wenn sie ihn immer komplett auf- und entladen, was den Akku langfristig aber eher strapaziert und in seiner Leistung beeinträchtigt.

Hier scheint es aber auch ein deutliches Potential für nachhaltige Produktnutzung zu geben, denn das Interesse an praktischen Informationen und Möglichkeiten zur Eigenreparatur (68 Prozent), zu Reparaturservices (74 Prozent) oder zur richtigen Pflege und Wartung (83 Prozent) von Geräten ist sehr hoch. Diese Informationen müssen jedoch gekoppelt sein an entsprechende niedrigschwellige Gelegenheiten und Angebote – seien es Repair-Cafés in der Umgebung, Do-it-yourself-Videos im Internet oder nutzerfreundliche Wartungsmöglichkeiten.

Es ist also wichtig, das Phänomen der Kurzlebigkeit von Elektronikgeräten von zwei Seiten zu betrachten: Auf der einen Seite als Teil eines gesellschaftlichen Diskurses über den Wert von Geräten, über die Erwartungen an ihre Nutzungs- und Lebensdauer und über die Verantwortung von Herstellern und Konsumentinnen für das »Leben der Dinge«. Und auf der anderen Seite als Teil ganz alltäglicher Praktiken des Umgangs mit Produkten, bei denen es sowohl an Wissen und praktischen Kompetenzen für nachhaltigen Konsum mangeln kann als auch an strukturellen Möglichkeiten und Angeboten.

An der Entstehung von Produktobsoleszenz sind verschiedene gesellschaftliche Bereiche beteiligt: Produktion, Handel, Konsum, Medien...

Die Suche nach den Ursachen für kurzlebige Elektronikprodukte und schnelllebigen Konsum sollte daher keine Detektivarbeit sein, die mit klaren Täter-Opfer-Kategorien operiert. Sie sollte eher eine Form der Archäologie sein, wie sie unsere fiktiven Nachfahren zu Beginn dieses Textes beitreiben: die Gefüge und Schichten unserer materiellen Kultur freilegen und sich die offene Frage stellen, warum die Kurzlebigkeit von Konsumprodukten für verschiedene gesellschaftliche Akteure sinnvoll, praktisch oder schlichtweg der einfachste Weg sein kann.

An der Entstehung von Produktobsoleszenz sind verschiedene gesellschaftliche Bereiche – wie Produktion, Handel, Konsum, Medien – beteiligt, sie wirken aufeinander und miteinander. Erst wenn dieses System verstanden wird, ist es möglich, die Frage nach der Verantwortung für die Nutzungs- und Lebensdauer von Konsumprodukten so zu beantworten, dass nicht eine Partei am Ende am Pranger steht. Das Ziel sollte eher eine »Architektur der Verantwortung« sein, die die Möglichkeiten und Potentiale der Verantwortungsübernahme für alle Beteiligten realistisch und zukunftsweisend einschätzt.

Dieser Beitrag erschien in der achten Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.

Fußnoten

  1. Vgl. Hoornweg, Daniel; Bhada-Tata, Perinaz; Kennedy, Chris: Environment: Waste production must peak this century, auf: nature.com (30.10.2013).
  2. Vgl. Eurostat: Waste statistics, auf: ec.europa.eu (2017).
  3. Vgl. Wang, F.; Huisman, J.; Stevels, A.; Baldé, C.P.: Enhancing e-waste estimates: improving data quality by multivariate Input-Output Analysis, in: Waste Management, Houston (33)2013, H. 11, S. 2397-2407.
  4. Vgl. Jaeger-Erben, Melanie; Hipp, Tamina: Letzter Schrei oder langer Atem? - Erwartungen und Erfahrungen im Kontext von Langlebigkeit bei Elektronikgeräten. Deskriptive Auswertung einer repräsentativen Online-Befragung in Deutschland, in: Nachwuchsgruppe Obsoleszenz (Hrsg.): OHA-Texte 1/2017, URL: https://obsoleszenzforschung.files.wordpress.com/2017/09/nachwuchsgruppe-oha_kurzdarstellung-online-umfrage_2017a_2.pdf.
  5. Vgl. bspw. das Projekt LOiPE – Langlebigkeit und Obsoleszenz in der Produktentstehung des Sustainum-Instituts.
  6. Vgl. Jaeger-Erben; Hipp 2017.
  7. Schätzung Bitkom (2011).- Vgl. bspw. o.A.: 50 Elektrogeräte und 7 Fernbedienungen pro Haushalt, auf: it-times.de (2.9.2011).
  8. Wieser, H.; Tröger, N.; Hübner, R.: Die Nutzungsdauer und Obsoleszenz von Gebrauchsgütern im Zeitalter der Beschleunigung. Eine empirische Untersuchung in österreichischen Haushalten, Wien 2015.

Autor:innen

Technische Universität Berlin

Forschungsschwerpunkte
Konsum- und sozialwissenschaftliche Technikforschung
Alltägliche Lebensführung
Soziale Innovation und sozialer Wandel

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