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Innovation im Tierrecht?

Es klagt der Pelikan

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Der Mensch gehört zu den Trockennasenaffen und ist eigentlich ein ganz gewöhnliches Säugetier. Trotzdem dominiert er das Tierreich, indem er Intelligenz, Gefühle und deshalb auch Rechte nahezu ausschließlich für sich allein beansprucht.

Dieses Verhalten rechtfertigt der Mensch unter anderem damit, dass er die Besonderheit aufweise, »Person« zu sein, was ihn von allen anderen Arten unterscheide. Im Englischen gibt es für diese Eigenschaft sogar ein eigenes Wort: »personhood«. Aber was macht sie aus und wie wird jemand oder etwas zu einer Person?

Aus rechtlicher Perspektive gibt es zwei Arten von Personen, nur sie sind rechtsfähig. Das bedeutet, nur sie können Rechte und rechtliche Pflichten haben und sie geltend machen. Der einzelne Mensch ist eine sogenannte »natürliche Person«, bestimmte Personenvereinigungen wie Unternehmen, Vereine oder Stiftungen sind »juristische Personen«.

Alle Lebewesen – bis auf den Menschen – macht das deutsche Recht zu Sachen: Tiere sind tatsächlich zwar keine Sachen, werden ihnen rechtlich aber nahezu gleichgestellt.[1] Die Unterscheidung zwischen tatsächlich und rechtlich ist keine juristische Spitzfindigkeit, sondern dient dazu, dass wir (bestimmte) Tiere zwar essen, aber nicht quälen oder grundlos töten dürfen.

Wann, wie und ob ein Lebewesen als Person gilt, ist allerdings nicht festgelegt. Darüber streiten sich nicht nur Philosophen, sondern auch Tierschützer und Verhaltensforscher, die nicht mehr nur dem Menschen das Person-Sein und die damit verbundenen Rechte überlassen wollen. Es gibt nämlich immer mehr Studien, die beweisen, dass Tiere auch Eigenschaften besitzen, die bisher als typisch menschlich galten.

Der Mensch im Tier

Biologen der Universität Oxford haben beispielsweise nachgewiesen, dass frisch geschlüpfte Hühnerküken abstrakt denken können, also verallgemeinernd und losgelöst von einem konkreten Sachverhalt.[2] Um das zu testen, nutzten die Forscher die Nachfolgeprägung von Küken: Nach dem Schlüpfen folgen sie demjenigen, der in der Nähe ist und sich bewegt – meistens ist das die Henne, es kann aber auch ein anderes Tier oder sogar ein Ball sein. Die Wissenschaftler legten den gerade geschlüpften Küken entweder zwei gleiche oder zwei unterschiedliche Objekte vor.

Nach der Prägungsphase wurden den Küken neue Objektpaare präsentiert, die auch entweder »gleich« oder »unterschiedlich« waren. Küken, die auf »gleich« geprägt waren, folgten gleichen Objekten, selbst wenn diese anders aussahen als die, die ihnen in der Prägungsphase gezeigt wurden. Das Gleiche funktionierte für die Küken, die auf »unterschiedlich« geprägt wurden. Die Forscher schließen daraus, dass Hühnerküken abstrakt zwischen »gleich« und »unterschiedlich« unterscheiden können.

Auch die Fähigkeit, mit sich selbst in einen moralischen Dialog zu treten, also über Recht und Unrecht nachzudenken, wurde lange allein dem Menschen zugeschrieben. Die Primatenforschung hat aber bewiesen, dass auch einige Affen eine »Abneigung gegen Ungerechtigkeiten« empfinden.[3] Kapuzineraffen beispielsweise reagieren negativ auf ungerechte Behandlung ihnen gegenüber – aber auch, wenn sie selbst besser behandelt werden als andere. Vermutlich, weil dies ihre »kooperative Partnerschaft« mit anderen Kapuzineraffen gefährden würde.

Umgekehrt »lügen« Tiere genauso wie Menschen: Wissenschaftler haben Grauhörnchen dabei beobachtet, wie sie absichtlich leere Nahrungsdepots anlegten.[4] Fühlten sie sich beobachtet – und nur dann –, gruben sie in die Erde und taten so, als ob sie etwas hineinschieben würden. Damit wollten sie andere Grauhörnchen in die Irre führen, von denen sie fürchteten, bestohlen zu werden. Auch Schwalbenmännchen täuschen und lügen. Sie stoßen falsche Alarmrufe aus, um das Weibchen zurück zum Nest zu locken und von einem Seitensprung abzuhalten.[5]

Krähen rodeln auf einem Konservendosendeckel immer wieder ein schneebedecktes Dach herunter, Eichhörnchen beklauen sich untereinander, Delfine geben sich mit verschiedenen Pfifftönen gegenseitig Namen.[6] Die Wissenschaft hat viele Indizien dafür gefunden, dass sich Tiere ähnlich verhalten wie Menschen.

Tiere vor Gericht

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse wäre es legitim, wenn auch Tiere von der Sache zur rechtsfähigen Person aufstiegen, meint der Biologe und Verhaltensforscher Karsten Brensing. Er bezieht sich unter anderem auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, deren Artikel 3 das »Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person« garantiert. »Wenn allein dieser Artikel für nichtmenschliche Persönlichkeiten umgesetzt würde, wäre dies schon ein Durchbruch.«[7]

Rechtlich unmöglich wäre das grundsätzlich nicht, schließlich können auch Aktiengesellschaften und Vereine zur Person werden, nämlich zur juristischen Person. Diesem Muster folgend könnte eine neue Personengruppe eingeführt werden: die »tierische Person«[8].

Welche Konsequenzen hätte eine solche Neuregelung? Festzulegen wäre zunächst, ob alle, und, falls nicht, welche Tiere zur tierischen Person werden können. Es müsste außerdem geregelt werden, welche Rechte der natürlichen (menschlichen) Personen auch für Tiere gelten. Schließlich sind auch auf juristische Personen nicht alle Rechte einer natürlichen Person anwendbar.

Gesetze müssten in ihrem Wortlaut geändert werden, damit sie nicht nur für den Menschen, sondern auch für Tiere gelten. Bei einigen wäre das kein großer Aufwand. Problematisch wäre aber beispielsweise eine Änderung des wichtigsten Artikels unserer Rechtsordnung: Die Garantie der Menschenwürde bezieht sich nicht auf die »Person«, sondern auf den Menschen.

Gälte aber, wie Karsten Brensing fordert, Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder das deutsche Grundgesetz grundsätzlich auch für Tiere, wären Zoos und Tierversuche ausgeschlossen, Menschen müssten auf ihr Schnitzel verzichten.

Rechtsfähigkeit bedeutet jedoch auch, dass Tiere ihre Rechte durchsetzen und einklagen können müssen. Aber vor welchem Gericht? Und wie miteinander kommunizieren? Eine Möglichkeit wäre es, Tiere von einem Menschen vor einem menschlichen Gericht vertreten zu lassen.

George Orwells »Farm der Tiere« wird nicht Realität

Tiere könnten also an der menschlichen Rechtsordnung »teilnehmen«. Kritiker aber befürchten, dass hierbei Menschenrechte aufgeweicht werden.[9] Wäre es Tieren möglich, zur Person aufzusteigen, brächte das als Kehrseite mit sich, dass Personen – also auch Menschen – auch zur Sache absteigen könnten.

Karsten Brensing hingegen meint, dass keiner fordere, »die Menschenrechte neu zu formulieren. Die aktuellen Bemühungen gehen eher in die Richtung, vergleichbare, aber von den Menschenrechten unabhängige Rechte für nichtmenschliche Personen zu definieren.«[10] So hat die sogenannte Helsinki-Gruppe, eine Vereinigung von Wissenschaftlern, die sich vor allem für den Schutz von Meeressäugetieren einsetzt, eine Deklaration der Rechte von Walen und Delfinen ausgerufen.[11]

Das erinnert an die Fabel »Farm der Tiere« von George Orwell, in dem sich die Tiere gegen ihren menschlichen Besitzer auflehnen und die »Sieben Gebote des Animalismus« festschreiben, nach denen die Tiere auf der Farm zu leben haben. Weil aber die Rechte, die Karsten Brensing und seine Mitstreiter für Tiere fordern, vom Menschen und nicht von den Tieren selbst festgelegt werden, kann dem Menschen eine Sorge genommen werden: Seine Vorrangstellung innerhalb des Tierreichs bliebe weiterhin gesichert – selbst mit der Einführung einer tierischen Person.

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