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Rollenklischees im Kinderzimmer

Es gibt kein Kinderspielzeug mehr

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Die Welt unserer Kinder kennt nur zwei Farben: Rosa und Blau. Das war nicht immer so, wie eine US-amerikanische Studie ergab. Die Soziologin Elisabeth Sweet untersuchte dafür in ihrer Doktorarbeit exemplarisch Werbeanzeigen für Spielzeug aus dem Katalog des amerikanischen Kaufhauses »Sears«, das bereits über ein Jahrhundert existiert.

Die Annoncen der 1920er bis 1960er Jahre entsprachen zu einem großen Teil den Rollenvorstellungen ihrer Zeit

Die Annoncen der 1920er bis 1960er Jahre entsprachen zu einem großen Teil den Rollenvorstellungen ihrer Zeit: Puppen und Haushaltsgegenstände wurden für Mädchen beworben; Spielsachen, die sie auf ihr späteres Leben als fürsorgliche Mutter und pflichtbewusste Hausfrau vorbereiten sollten. Für Jungen hingegen waren Baukästen und Nutzfahrzeuge gedacht. Allerdings bestand fast die Hälfte der Anzeigen auch aus neutralen Werbemaßnahmen ohne konkreten Geschlechterbezug.

Dieser Trend setzte sich in den 70er Jahren fort. In den Werbeanzeigen des Sears-Katalogs von 1975 fanden sich schließlich nur noch zwei Prozent geschlechtsspezifisch beworbene Spielzeuge. Sweet führt diese Entwicklung auf die zweite Welle der feministischen Bewegung zurück.

Nach dem Babyboom der 60er Jahre sanken die Geburten- und Heiratsraten in den USA. Immer mehr Frauen arbeiteten und es wurde populär, mit Rollenklischees zu brechen. In den Sears-Annoncen der 70er Jahre spielen Jungen mit Haushaltsgegenständen und Mädchen versuchen sich als Wissenschaftlerinnen oder Ärztinnen.

Auch wenn man meinen könnte, wir hätten heute ein ähnliches Verständnis dafür, was Mädchen und Jungen alles gemeinsam haben, so zeigt ein Blick in die Werbung für Spielzeug in der neueren Zeit ein vollkommen gegenteiliges Bild.

Bis Ende der 70er war die Spielzeugwelt der Kinder ein Spiegel ihrer Zeit betrachten, die auf Veränderungen mit Veränderungen reagierte. Heute ist sie eine Art Zufluchtsort

Während in der Welt der Erwachsenen die Vorstellung der Geschlechterungleichbehandlung langsam zu bröckeln begann, es selbstverständlich wurde, dass Frauen Auto fahren oder ohne die Erlaubnis des Mannes arbeiten gehen können, zeigt sich im Reich der Kinder seit Ende der 80er Jahre ein rückwärtsgerichteter Trend. Damit schlug seit Anfang des 20. Jahrhunderts die »Spielzeugwelt« erstmals einen anderen Weg ein als die Gesellschaft, aus der diese stammt. Konnte man bis Ende der 70er noch die Spielzeugwelt der Kinder als Spiegel ihrer Zeit betrachten, die auf Veränderungen mit Veränderungen reagierte, so scheint aus dem Spiegel heute eher eine Art Zufluchtsort geworden zu sein.

Kinder identifizieren sich heute viel seltener mit nachgebildeten Gegenständen, wie sie sie aus ihrem Alltag mit den Eltern her kennen, sondern häufiger mit Fabelwesen aus einer Fantasiewelt. Und das, ohne auf Rollenklischees zu verzichten. Die Hausfrauen von damals sind die kleinen Prinzessinnen von heute. Den Mädchen wird über Spielzeug suggeriert, dass sie im Grunde alles werden können, »solange sie passiv und schönheitsorientiert sind«. Zauberstäbe von Feen werden durch Haarbürsten ersetzt, das häufigste Accessoire von Prinzessinnen ist ein Spiegel. Elisabeth Sweet ordnet das neue Rollenverständnis daher einer postfeministischen Ära zu.

Auch Spielzeug für Jungen ist heute weitaus abstrakter als die tatsächliche Lebenswelt. Kleine Jungen werden zu Superhelden, Rittern oder Piraten. Die eindeutige Jungen- und Mädchenzuschreibung von Spielwaren erreicht ein Ausmaß an Geschlechtsspezifik, wie es in den 70er Jahren bereits überholt war. So lassen sich bei Sears im Jahr 1995 wieder über die Hälfte der Annoncen als geschlechtsspezifisch charakterisieren;4 ein Wert, den man zuletzt in den Zwischenkriegsjahren finden konnte. Auf diese Weise fallen die geschlechtsneutralen Werbemaßnahmen auf den Stand einer Zeit zurück, in denen die mangelhafte Gleichstellung von Männern und Frauen noch als Selbstverständlichkeit galt.

Neu ist jedoch die Zuordnung der Geschlechter über konkrete Farbzuweisungen. Damit auch kleinere Kinder sofort erkennen können, welches »ihr« Spielzeug ist, findet man in den neuesten Werbeanzeigen fast nur noch rosa oder blaue Puppen, Ritterrüstungen, aber auch Trinkflaschen, Rucksäcke oder Möbel. Die Aufteilung der Jungen- und Mädchenwelt in Rosa und Blau ist so strikt, dass in großen Spielzeugläden wie bei Toys »R« Us eine Grenze zwischen den beiden Bereichen verläuft. Rosa, Pink und Lila für die Mädchen, Blau- und Grüntöne für die Jungen.

Die Vermarktung von Kinderspielzeug erfolgt heute über das feste Farbschema viel subtiler, als es Anfang des 20. Jahrhunderts über die Rollenkategorisierung der Fall war

Die Vermarktung von Kinderspielzeug erfolgt heute über das feste Farbschema viel subtiler, als es Anfang des 20. Jahrhunderts über die Rollenkategorisierung der Fall war. Außerdem ist sie weit entfernt von den geschlechtsneutralen Strategien der 70er Jahre. Dies habe vor allem ökonomische Gründe, so Sweet. Die geschlechterspezifische Blau- oder Rosafärbung der Kinderzimmer falle zeitlich zusammen mit der Verbreitung des Farbfernsehens und der Lockerung des US-amerikanischen Werberechts für Kinder. Spielzeugunternehmen wurde es beispielsweise erlaubt, Werbespots zu senden, die genauso lang waren wie einzelne Kinderserien.

Die Spielzeughersteller sprachen damit nicht mehr die Eltern als potentielle Käufer ihrer Spielwaren an. Stattdessen wurden die Mädchen und Jungen als Zielgruppe direkt adressiert. Und das sei über Farben nun einmal einfacher als über Altersstrukturen oder Interessenlagen. Durch Fernsehwerbung kann schon sehr jungen Kindern vermittelt werden, womit Jungen und Mädchen jeweils zu spielen haben. Farben zu unterscheiden, lernen Kleinkinder bereits mit eineinhalb Jahren, ein Alter, in dem viele Kinder noch gar kein Bewusstsein für das eigene Geschlecht haben. Die geschlechtsspezifische Vermarktung von Spielzeug hat sich durchgesetzt und erreichte mit der Erschließung des Internets als potentieller Werbefläche einen neuen Höhepunkt.

Auf der US-amerikanischen Website der »Walt Disney Company« findet man beispielsweise überhaupt keine Kategorie mehr für Spielzeug, mit dem Jungen und Mädchen gleichermaßen spielen sollen, wie die Soziologinnen Carol Auster und Claire Mansbach in einer Studie herausfanden. Diese bestätigt die erfolgreiche Werbestrategie der Großkonzerne, Kinder lieber zu kategorisieren, als ihre Individualität zu fördern.

Kinder kommen nicht als Fee oder Pirat auf die Welt. Damit sie sich frei entfalten und entwickeln können, ist es wichtig, dass sich Erwachsene mit dem Spielzeug auseinandersetzen, dass Kinder täglich begleitet.

Dieser Beitrag erschien in der siebten Ausgabe von KATAPULT. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr.

[1] Vgl. Sweet, Elizabeth V.: Boy Builders and Pink Princesses. Gender, Toys, and Inequality overthe Twentieth Century, Diss., Davis 2013.
[2] Sweet, Elizabeth V.: Toys Are More Divided by Gender Now Than They Were 50 Years Ago, auf: theatlantic.com (9.12.2014).
[3] Ebd., eigene Übers.
[4] Vgl. ebd.
[5] Vgl. Schiek, Helen: Gender-Debatte. Warum Jungs Ritter und Mädchen Prinzessin spielen, auf: welt.de (14.12.2016).
[6] Vgl. Sweet 2014.
[7] Vgl. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Die geistige Entwicklung des Kindes, auf: kindergesundheit-info.de.
[8] Vgl. Auster, Carol; Mansbach, Claire: The Gender Marketing of Toys. An Analysis of Color and Type of Toy on the Disney Store Website, Berlin/Heidelberg 2012.

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