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Mediensysteme im Vergleich

Die Gesellschaft prägt die Medien, nicht umgekehrt

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Welchen Einfluss hat der Staat auf seine Medien? In Deutschland ist die Frage einfach zu beantworten: Alle Medien unterliegen den Anforderungen an staatsfreie Organisationen, um zu einer öffentlichen Meinungsbildung neutral beitragen zu können, ohne unter dem Einfluss bestimmter politischer Gruppen zu stehen.

Dafür entstand nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein öffentlich-rechtliches Mediensystem nach dem Vorbild der britischen BBC. Diese Organisationsform sollte eine öffentlich zugängliche Rundfunk-Grundversorgung garantieren.[1]

Um sowohl politische als auch wirtschaftliche Abhängigkeit zu vermeiden, werden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland zum größten Teil durch Gebühren finanziert. Die Rundfunkbeitragspflicht in Höhe von 17,50 Euro monatlich gilt für alle deutschen Haushalte. Damit wird gewährleistet, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einzig dem Gemeinwohl der Gesellschaft verpflichtet sind. Die Gebühren ermöglichen allen öffentlich-rechtlichen Sendern eine autonome Selbstverwaltung und eine staatsferne Programmgestaltung.[2] Das deutsche Mediensystem steht somit in einem Spannungsverhältnis zwischen staatlich angeordneter Gebührenerhebung und einer staatsfreien Medienlandschaft, die durch kommerzielle Medienanbieter noch ergänzt wird.

Auch in anderen Ländern wird der Zusammenhang zwischen Politik und Medien in der Ausgestaltung der Mediensysteme spürbar. Die Art der Finanzierung von Medien ist dabei nur ein sehr kleiner Teilbereich der vergleichenden Mediensystemforschung.

Medienkultur ist länderspezifisch

In ihrem viel beachteten Buch »Four Theories of the Press«[3] unterschieden die US-amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Siebert, Peterson und Schramm in den 1950er Jahren vier Arten von Mediensystemen:

1. ein autoritäres Mediensystem, das als »verlängerter Arm« des Staates immer auch propagandistische Züge trägt
2. ein liberales Mediensystem, dessen Hauptaufgabe die Kontrolle der Regierung ist
3. ein sozialverantwortliches System, mit dessen Hilfe soziale Konflikte zur Sprache gebracht werden können
4. ein kommunistisches Mediensystem, das dem kommunistischen Staat dient und gleichzeitig von ihm kontrolliert werden kann.[4]

Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht mag die Vergleichbarkeit der Mediensysteme ein Meilenstein gewesen sein, praktisch gesehen hatte diese Klassifizierung jedoch kaum einen Nutzen. Es stellte sich schnell heraus, dass sich – bedingt durch die normative Prägung des Ansatzes und die fehlende Empirie – nur wenige Länder tatsächlich einem der vier Modelle konkret zuordnen ließen.

Intuitiv erscheint es logisch, dass ein Land mit autoritärer Führung auch ein autoritär geführtes Mediensystem besitzt. Empirisch belegt wurde dies jedoch erst 2004 durch die Kommunikationswissenschaftler Daniel Hallin und Paolo Mancini.[5]

In ihrer Studie untersuchten sie das Zusammenspiel zwischen Medien und Politik in westlichen Demokratien. Sie analysierten sowohl die historische Medienentwicklung als auch die gegenwärtige Medienrealität in 18 Ländern Europas und Nordamerikas.[6] Zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die Medienkultur der Länder immer in Zusammenhang mit ihrer sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung steht:

»Es ist demnach weniger das Mediensystem, das die Gesellschaft prägt, sondern vielmehr die Gesellschaft, die das Mediensystem mit seinen charakteristischen Merkmalen überhaupt erst hervorbringt.«[7] Anhand von vier medialen Dimensionen (Position der Presse, politischer Parallelismus, journalistischer Professionalisierungsgrad und Staatskontrolle) sowie vier politischen Dimensionen (Konfliktmuster, Regierungsmuster, Organisationsgrad und Staatsrolle) gelingt den Wissenschaftlern eine Klassifizierung der Mediensysteme.[8]

In den USA liberal, in Italien polarisiert-pluralistisch und in Deutschland demokratisch

Aus der Zuordnung entstehen drei Mediensystem-Modelle, die sich nicht ganz zufällig auch mit geografischen Regionen decken. Die beiden Länder des Nordatlantiks, USA und Kanada, ordnen Hallin und Mancini einem liberalen Mediensystemtypus zu. Charakteristisch dafür sind die frühe Entstehung einer Massenpresse, die mit einer baldigen Kommerzialisierung einherging. Der Professionalisierungsgrad der Journalisten ist hoch und die Berichterstattung wird von den Wissenschaftlern als neutral eingestuft. Auf politischer Ebene handelt es sich bei den Ländern um früh entwickelte Demokratien, was sich auch auf die Struktur ihrer Mediensysteme auswirkt. So gelten die Medien stets als staatsunabhängig. Vor allem in den USA weisen die Medien eine sehr starke Marktdominanz auf, die auf Angebot und Nachfrage beruht und kommerziellen Zwecken dient.[9]

Die Länder Italien, Spanien, Portugal, und Griechenland ordnen die Wissenschaftler dagegen einem polarisiert-pluralistischen Medienmodell zu. In den Regionen des mediterranen Raums findet man eine vergleichsweise wenig ausgeprägte Zeitungskultur vor, die sich in einer niedrigen Auflagenzahl der Zeitungen messen lässt.[10] Die Alphabetisierungsrate war auch nach dem Zweiten Weltkrieg in den Ländern Südeuropas noch verhältnismäßig gering, weshalb sich die Zeitungen lange Zeit nur an eine sehr kleine, gebildete Gruppe richteten.

Die engen Verbindungen der Medien zu Literatur und Politik führen dazu, dass die Berichterstattung oft meinungsbetont ist.[11] Auch die journalistische Kultur wird von Hallin und Mancini als wenig neutral und kaum professionalisiert charakterisiert. Die späte Demokratisierung der Länder Südeuropas zeigt sich auch in der engen Verflechtung von Staat und Mediensystem. Parteien haben einen starken Einfluss auf die Medien, weshalb auch heute noch nicht von einer vollständigen Autonomie ausgegangen werden kann.[12] Ein gutes Beispiel für die politische Einflussnahme auf die Medien ist die Situation in Italien. Hier besitzt der ehemalige Ministerpräsident des Landes, Silvio Berlusconi, mit »Mediaset« eine ganze TV-Sendergruppe, die neben Unterhaltungsfernsehen auch Nachrichtenformate produziert, die auf seine populistische Politik zugeschnitten sind.[13]

Anders verhält es sich mit den Mediensystemen Schwedens, Norwegens, Dänemarks, Finnlands, der Niederlande, Deutschlands, Österreichs, Belgiens und der Schweiz. Hier sprechen die Wissenschaftler von einem demokratisch-korporatistischen Medientyp. Die Länder Nord- und Zentraleuropas wurden früh demokratisiert, wobei die Wohlfahrtsstaatlichkeit dafür sorgt, dass der Staat in die Wirtschaft eingreifen kann und somit auch die Mediensysteme von staatlichen Regulierungen gekennzeichnet sind. Die Pressefreiheit wird jedoch gesetzlich garantiert, was sich in einer neutralen Berichterstattung widerspiegelt und für eine starke Professionalisierung der journalistischen Arbeitsweise sorgt. Die Printmedien genießen in den demokratisch-korporatistischen Systemen traditionell ein hohes Ansehen. Schon früh entwickelte sich eine Massenpresse mit hohen Zeitungsauflagen. Vor allem in Skandinavien profitiert die Presse von staatlichen Subventionen, die Wettbewerbsnachteile ausgleichen sollen.[14] Schweden beispielsweise setzt auf Förderung: Ein durch die Regierung eingesetzter Presseförderungsrat vergibt Gelder, um es kleineren Medienerzeugnissen zu erleichtern, auf dem Markt zu bestehen.[15]

Frankreich, Großbritannien und Irland weisen in ihren Mediensystemen Charakteristika mehrerer Typisierungen auf und können daher nicht eindeutig einem der drei Modelle zugeordnet werden.

Amerikanisierung des deutschen Mediensystems?

Im Vergleich der drei Mediensystemtypen zeigt sich, dass die politischen Verhältnisse der Regionen unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung der Mediensysteme haben.

Mediensysteme sind nicht statisch, sondern unterliegen der Dynamik der Zeit. Globalisierungsprozesse beispielsweise können eine homogenisierende Wirkung haben, die die Unterschiede zwischen den einzelnen Systemen kleiner werden lassen.[16] So wird seit Längerem vor einer Amerikanisierung der deutschen Medienlandschaft gewarnt, besonders im Bereich der politischen Kommunikation.[17] Eine starke Fokussierung auf Personen, wie sie von den US-Präsidentschaftswahlen bekannt ist, zeigt sich zunehmend auch in den deutschen Medien.

Christian Lindner schaffte es beispielsweise, mit seiner Partei in den Bundestag zurückzukehren – und das mit einer »One Man Show«, einem Wahlkampf also, der fast ausschließlich auf die Person Lindner zugeschnitten war. Gewonnen hat die Wahl jedoch jemand anderes: Angela Merkel, unaufgeregt und ohne große Skandale, ist zum vierten Mal in Folge Bundeskanzlerin geworden. Mit Skandalisierungen und persönlichen Schlagzeilen über politisches Spitzenpersonal lässt sich in Deutschland kein langfristiger Wahlkampf planen – ein Beispiel der spezifischen deutschen Medienkultur.[18] Anders ist es in Ländern wie den USA oder Italien, in denen die Präsidenten trotz oder gerade wegen der medialen Verbreitung privater Skandale gewählt wurden.[19]

Auch die Studie von Hallin und Mancini unterstreicht die nationalen Besonderheiten der einzelnen Medienkulturen. Es wird nicht dazu kommen, dass sich die Mediensysteme verschiedener Länder vollständig angleichen, da ihre sozialen und politischen Strukturen unterschiedlich sind.

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