Die letzte afghanische Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren wurde von Wahlfälschungen überschattet. Um Unruhen zu verhindern, beschlossen die führenden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah damals unter amerikanischer Vermittlung eine Regierung der Nationalen Einheit: Ghani wurde Präsident, für Abdullah schuf man das neue Amt des Regierungschefs. Am Samstag standen sie sich erneut als Konkurrenten gegenüber. Ashraf Ghani arbeitete in der Vergangenheit unter anderem für die Weltbank, half bei der Transformation Russlands und war Berater des UN-Gesandten in Afghanistan. 2008 veröffentlichte er sein Buch “Fixing Failed States”. Ghani stellt sich selbst als “State Builder” dar und verbrachte den aktuellen Wahlkampf vor allem damit, Infrastrukturprojekte einzuweihen. In einem Interview mit dem türkischen Sender TRT stellte er seine Pläne für die Zukunft Afghanistans vor: ein demokratisches Gemeinwesen aufbauen und dabei vor allem auch Frauen einbinden. Außerdem wolle er die Marktwirtschaft einführen, um internationale Investoren anzulocken. Afghanistans Lage in Zentralasien begreift er dabei als Standortvorteil. Friedensverhandlungen mit den Taliban steht Ghani offen gegenüber. Die Regierung der Nationalen Einheit fortzuführen, hält Ghani für “nicht akzeptabel”. “Zwei Präsidenten” werde es mit ihm nicht mehr geben. Mitte September verweigerte er sich einer TV-Debatte mit seinem Konkurrenten Abdullah und tauchte einfach nicht im Studio auf. Abdullah ist gelernter Augenarzt und wurde während des sowjetisch-afghanischen Kriegs in den 1980er-Jahren zu einem Vertrauten des legendären Mudschaheddin-Kommandanten Ahmad Schah Massoud. Bis Ende der 90er, als die Taliban weite Teile Afghanistans kontrollierten, stieg er zum Außenminister der international anerkannten Regierung Afghanistans auf. Schon 2009 hätte er womöglich Präsident werden können, zog sich aber aus der von Unregelmäßigkeiten überschatteten Wahl zurück. Abdullah wirft dem Präsidenten Korruption und Betrug vor. Er selbst baut auf sein Image als unbestechlicher Politiker. Für seinen Wahlkampf hat er unter dem Motto “Stabilität und Partnerschaft” – wie auch Ashraf Ghani – eine Reihe von ethnisch und konfessionell durchmischten Politikern hinter sich versammelt. Auch er erklärte, Frauen stärker beteiligen zu wollen. Die Regierung hat in den letzten Jahren kaum etwas erreicht. Es ist wohl vor allem der Mangel an Alternativen, der dazu geführt hat, dass Ghani und Abdullah die Wahlen wieder untereinander ausmachen werden. Grafik herunterladen Große Teile des Landes konnten nicht wählen Ein angeblich verbessertes Wahlregister, biometrische Gesichtserkennung, die elektronische Übermittlung der Ergebnisse und die Einrichtung von Beschwerdestellen sollten dieses Mal einen korrekten Ablauf der Wahl gewährleisten. Trotzdem waren am Samstag die Wahlregister unvollständig. Die biometrischen Geräte waren in vielen Landesteilen fehlerhaft oder fielen gleich ganz aus. Eine versprochene Wahlreform ist bislang kaum umgesetzt worden. Ohnehin ist eine demokratische Wahl in Afghanistan kaum möglich. Denn etwa 2.000 der rund 7.400 Wahllokale mussten aus Sicherheitsgründen geschlossen bleiben. Die Regierung kann viele Gebiete nicht effektiv kontrollieren. Das führte dazu, dass die Taliban in ganz Afghanistan Territorien halten, in denen sie zum Beispiel das Schulwesen und die Gesundheitsversorgung organisieren oder Steuern eintreiben. Im vergangenen Jahr wurden laut den Vereinten Nationen in Afghanistan sowohl durch Islamisten als auch die USA und regierungsloyale Kräfte 3.804 Zivilisten getötet und weitere 7.189 verletzt. Die Parlamentswahlen 2018 fanden unter ähnlichen Umständen statt. Die Taliban ließen in den von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wahlen zu und sabotierten diese im Rest des Landes durch Bombenanschläge auf Wahllokale. Für die Präsidentschaftswahl riefen die Taliban erneut zu Boykotten auf und warnten vor der Teilnahme an politischen Veranstaltungen. Letzten Dienstag starben bei einer Attacke auf eine Kundgebung des Präsidenten Ghani 26 Personen. In der westlichen Provinz Herat griffen die Taliban gezielt Gouverneure und Sicherheitskräfte an und errichten Straßensperren. Landesweit sollten deshalb mehr als 70.000 Sicherheitsleute die Wahllokale vor Anschlägen schützen. Trotzdem kam es vor allem durch Raketenbeschuss auf Wahllokale nach offiziellen Angaben zu mindestens fünf Toten und 76 Verletzen. Für afghanische Verhältnisse gelten diese Zahlen als Erfolgsmeldung: “Keine größeren Zwischenfälle” hätten den Ablauf am Wahltag gestört, so der Verteidigungsminister. Trotz der Sicherheitsvorkehrungen gingen Schätzungen zufolge nur 2,2 Millionen Afghanen wählen, das sind etwa 25 Prozent der registrierten Wähler. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2014 waren es in der ersten Runde noch fast sieben Millionen. Das Wahlergebnis soll am 7. November bekanntgegeben werden. Um die Wahl im ersten Durchgang zu gewinnen, muss einer der Kandidaten mindestens die Hälfte der Stimmen auf sich vereinen. Da neben Ghani und Abdullah noch dreizehn weitere Kandidaten antreten, ist eine Stichwahl wahrscheinlich. Sollte es im zweiten Wahlgang bei der niedrigen Wahlbeteiligung bleiben, wäre das ein sehr schwaches Mandat für den Gewinner und könnte ihm in kommenden politischen Verhandlungen über die Zukunft des Landes einen schweren Stand bereiten. Der neue Präsident steht vor enormen Herausforderungen: Fast wäre im September ein Abkommen zwischen den Taliban und den USA zustande gekommen, das es Washington erlaubt hätte, seine Truppen vom Hindukusch abzuziehen. Die afghanische Regierung saß damals nicht mit am Tisch. Ohne die US-Truppen könnte sie sich jedoch wohl kaum an der Macht halten. Neben dem Aufbau eines funktionierenden Staates und demokratischer Strukturen muss also auch ein Abkommen mit den Taliban geschlossen werden - wenn das überhaupt möglich ist. Aktuelle Ausgabe KATAPULT ist gemeinnützig und unabhängig. Wir finanzieren uns durch Spenden und Abonnements. Unterstützen Sie unsere Arbeit und abonnieren Sie das gedruckte Magazin für nur 19,90 Euro im Jahr. KATAPULT abonnieren