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Wahl in Israel

Das fünfte Mal Netanjahu und das Ende der Zweistaatenlösung

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Netanjahus rechtskonservative Partei “Likud” (“Zusammenschluss”) gewann bei der Wahl am 9. April 35 der 120 Sitze in der Knesset, dem Parlament Israels. Sein stärkster Konkurrent war der ehemalige Generalstabschef des israelischen Militärs, Benjamin Gantz. Der ist Politikneuling und lässt sich ebenfalls dem konservativen Lager zuordnen. Er erreichte mit seinem neu gegründeten Mitte-Rechts-Bündnis “Kachol Lavan” (“Blau Weiß”) ebenfalls 35 Sitze. Netanjahu wird, anders als Gantz, jedoch von einer Reihe rechtsextremer und rechts-religiöser Splitterparteien unterstützt und kommt so auf die nötige Parlamentsmehrheit. Der israelische Präsident und Parteikollege Reuven Rivlin beauftragte Netanjahu deshalb am Tag nach der Wahl mit der Regierungsbildung. Diese kann sich aufgrund der vielen in der Knesset vertretenen Parteien jedoch über längere Zeit hinziehen.

Die Wahl hätte eigentlich erst im November 2019 stattfinden sollen. Sie wurde jedoch vorgezogen, nachdem Netanjahus Verteidigungsminister aus Protest mit seiner Partei die Regierungskoalition verlassen hatte.

Freundschaft mit Putin und Trump

Netanjahu wurde im Vorfeld der Wahlen diktatorisches Verhalten vorgeworfen und seine Wahlkampfmethoden mit denen des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump verglichen. Er hatte politische Gegner extrem scharf attackiert und die Presse des Landes der “Hexenjagd” ihm gegenüber bezichtigt, die damit die Regierung hätte stürzen wollen. Zudem warnte er im Falle eines Sieges der linken Parteien vor dem baldigen Untergang Israels. Des Weiteren ließ er von Unterstützern seiner Partei illegal 1.200 Überwachungskameras in Wahllokalen mehrheitlich arabisch-israelischer Gemeinden installieren. Damit griff er eine Verschwörungstheorie auf, nach der das arabisch-israelische Wählerbündnis “Ra'am-Balad” nur durch Wahlbetrug eine Chance auf den Einzug in die Knesset habe. Die Kameras wurden vor der Wahl von der Wahlbehörde größtenteils wieder entfernt, Konsequenzen gab es für Netanjahu nicht.

Benjamin Netanjahus gute Kontakte zu den Regierungen Russlands und den USA, den wichtigsten militärischen Partnern Israels, gelten als eine der Gründe für den Sieg gegenüber Gantz. Netanyahu traf sich im Vorfeld der Wahlen sowohl mit Trump als auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Beide sicherten Netanyahu ihre Unterstützung zu und untermauerten diese symbolträchtig: Nachdem Trump bereits im vergangenen Jahr die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen ließ, erkannte er nun Israels Besetzung und Annexion der syrischen Golanhöhen als rechtmäßig an. Damit widerspricht er der Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft, die in einer UN-Resolution die Annexion als Bruch des Völkerrechts bezeichnet. Während seines Besuchs in Russland inszenierten Netanjahu und Putin medienwirksam die Rückführung des Leichnams eines seit Jahrzehnten vermissten israelischen Soldaten und betonten ihre Freundschaft und gemeinsamen Werte.

Netanjahu will im Amt bleiben, auch wenn Gerichte ihn schuldig sprechen

Netanjahu ist bei großen Teilen der israelischen Bevölkerung beliebt. Mit seiner Regierungszeit verbinden viele Israelis eine allmähliche Verbesserung der Sicherheitslage für die jüdische Bevölkerung und eine gute Entwicklung des israelischen Wirtschaft. Diese Beliebtheit, die guten Kontakte zu den USA und den religiösen Führern des Landes verhalfen ihm trotz der Anschuldigungen zum Sieg gegenüber Gantz.

Gantz vertritt inhaltlich ähnliche Standpunkte wie Netanjahu, wenn auch meist gemäßigter. Beide gelten als Hardliner gegenüber dem Iran und der Hamas-Organisation im Gazastreifen, und sie verteidigen beide die israelische Siedlungspolitik. In der Frage zum Umgang mit den palästinensischen Gebieten im Westjordanland gesteht Gantz den Palästinensern jedoch mehr Autonomierechte zu als Netanjahu, der kürzlich noch die Annexion weiterer Gebiete dort forderte.

Aufgrund der ähnlichen politischen Ansichten beschränkte sich der persönlich geführte Wahlkampf größtenteils auf die Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu und Gantz’ Image als politischer Saubermann. Gegen Netanjahu wird seit Ende 2018 wegen Verdacht auf Korruption, Betrug und Bestechlichkeit ermittelt; mehrere Verfahren wurden eingeleitet. Er bestreitet die Vorwürfe und kündigte an, im Fall eines Schuldspruchs im Amt bleiben zu wollen.

Gantz akzeptierte seine knappe Niederlage, will als Teil der Opposition Netanjahus Partei in den kommenden Jahren ”das Leben zur Hölle” machen.

Linke Stammwähler wählen konservativ

Die linken und arabischen Parteien – besonders die Arbeiterpartei “haAwoda” (“die Arbeit”) – gelten als die größten Verlierer. Die Wahlbeteiligung der arabischen Israelis lag mit unter 50 Prozent auf einem historisch niedrigen Niveau. Während viele von ihnen die Wahlen aus Protest gegen diskriminierende Gesetze und den Skandal um die Überwachungskameras boykottierten, wählte ein großer Teil der linken Stammwählerschaft vermutlich aus taktischen Gründen für Gantz, um eine weitere Amtszeit Netanjahus zu verhindern. Das Paradoxe daran: Die Arbeiterpartei verlor auf Kosten von Gantz’ Aufstieg 13 Sitze und stellt zukünftig nur noch sechs Abgeordnete – Netanjahu bleibt also an der Macht und das gesamte Parlament rutscht weiter nach rechts.

Zweistaatenlösung immer unwahrscheinlicher

Die Lösung des Konflikts mit Palästina spielte im Wahlkampf kaum eine Rolle – vielmehr stritten die Kandidaten darüber, wie der aktuelle Status der Sicherheitslage weiter stabilisiert werden könne. Sowohl Netanjahu als auch Gantz gelten als in der Sicherheitspolitik profilierte Politiker. Die israelische Bevölkerung hat hinsichtlich der Lösung des Konflikts größtenteils resigniert. Die israelischen Siedlungsgebiete im Westjordanland wachsen stetig weiter – über eine halbe Million Israelis leben mittlerweile dort. Israelis ziehen nicht mehr nur aus religiösen oder politischen Gründen ins Westjordanland, wie es noch zwischen den 70er- und 90er-Jahren der Fall war. Heute sind die Gründe viel pragmatischer: günstiger und neuer Wohnraum, niedrige Lebenshaltungskosten, gute Schulen und die Nähe zu Jerusalem. Während die internationale Staatengemeinschaft die Siedlungsgebiete größtenteils als illegal betrachtet werden, steht ein Rückbau dieser in Israel nicht mehr zur Debatte.

Die Idee der friedlichen Zweistaatenlösung rückt auch damit in immer weitere Ferne. Zu dem illegalen Ausbau der israelischen Siedlungsgebiete und den innerpalästinensischen Führungstreitigkeiten kommt jetzt der wachsende Bedeutungsverlust der israelischen Arbeiterpartei als weiterer Grund dafür hinzu. Die Umsetzung der Zweistaatenlösung war vor allem in den 80er- und 90er-Jahren während der Regierungszeit der Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin und Schimon Peres und ihrer damals regierenden Arbeiterpartei – gemeinsam mit dem Palästinenserführer Jassir Arafat – vorangetrieben worden.

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Ehemaliger Redakteur bei KATAPULT. Er ist Chefredakteur von KATAPULT Kultur und für die Produktionsleitung des Magazins verantwortlich. Er hat Geographie an der Universität Augsburg und der Universitat de Barcelona studiert. Er ist zudem als freiberuflicher Fotograf tätig.

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