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Föderalismusforschung

Wozu noch Landtage?

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Zur Rolle der Landtage in der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums

Den Parlamenten der Bundesländer kommt im Allgemeinen wenig Aufmerksamkeit zu. Sie gelten als Verlierer der politischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte: Kompetenzen wurden zum einen an die europäische Ebene abgegeben. Innerhalb Deutschlands besteht zum anderen ein starker Druck zur einheitlichen Regelung von Politikfeldern, die den Spielraum der Landesparlamente einengen.

Während die Landesregierungen über den Bundesrat aktiv an der politischen Gestaltung mitwirken und in Fachministertreffen wie der Kultusministerkonferenz bundeseinheitliche Regelungen treffen, bleibt den Parlamentariern in den Landtagen oft nur die Aufgabe, diese Regelungen »durchzuwinken« und mit nur beschränkten Mitteln ihre Exekutiven zu kontrollieren.

Wie legislativ ist also die Legislative der Landesparlamente, wenn sie nur Bundesgesetze ausführt?

Wie legislativ ist also die Legislative der Landesparlamente, wenn sie nur Bundesgesetze ausführt? Perspektivisch gesehen können diese Faktoren in eine prinzipielle Legitimationskrise des Landesparlamentarismus in der Bundesrepublik münden. Sinkende Wahlbeteiligungen bei Landtagswahlen liefern hierfür erste deutliche Hinweise.

Wozu also noch Landtage? Kritiker wie Wilhelm Hennis sprachen sich bereits in den 1950er Jahren für eine Abschaffung der parlamentarischen Systeme der Bundesländer aus. Verteidiger der Länderparlamente verweisen hingegen darauf, dass

  1. die Landtage per Landesverfassungen nach wie vor die zentralen Orte der Landesgesetzgebung sind,

  2. sie diese Kompetenzen auch kraftvoll wahrnehmen sollten, um innerhalb Deutschlands einen politischen Wettbewerb um die besten Ideen zu erzeugen, und

  3. dass – entgegen der öffentlichen und politikwissenschaftlichen Mehrheitsmeinung – auch durchaus Beispiele zu finden sind, in denen die Landtage genau dies tun.

Spielraum ergibt sich für die Landtage nach dieser Überlegung vor allem in neuen Politikfeldern, die sich unter anderem durch die Rückübertragung von Kompetenzen auf die Länder entwickeln konnten und in denen die Konfliktlinien nicht exakt entlang der bundespolitischen Parteigrenzen verlaufen.

Ein solches Politikfeld stellt die Agrarpolitik – genauer die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums – dar. Das Politikfeld ist bereits seit den 1950er Jahren als »Gemeinsame Agrarpolitik« (GAP) vor allem geprägt durch eine hohe und einheitliche europäische Regulierung und bildet mit Blick auf das Budget der EU nach wie vor den schwergewichtigsten Politikbereich. Allerdings entschied sich die EU Mitte der 2000er Jahre, die GAP in zwei »Säulen« aufzuteilen. Während die erste Säule, die Markt- und Preispolitik, weiterhin von der EU gesteuert und finanziert wird, gewannen die Mitgliedsstaaten in der zweiten Säule, die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums, Gestaltungsspielräume hinzu und wurden zu Kofinanzierern der entsprechenden Programme.

Das grundlegende Ziel dieser teilweisen »Re-Nationalisierung« war, der großen Heterogenität ländlicher Räume zielgerichteter Rechnung tragen zu können. In der Bundesrepublik Deutschland folgte man dieser Grundidee insofern konsequent, als dass nun die Bundesländer ebenfalls Kompetenzen hinzugewannen und seit 2007 die Aufgabe haben, für ihre Region »Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum« (EPLR) zu erarbeiten, die jeweils eine Laufzeit von sieben Jahren haben. Für die Bundesländer öffnete sich so ein neues Politikfeld, für das bundeseinheitlich festgelegt wurde, dass die Erstellung gemäß den »landesspezifischen Beteiligungsverfahren« erfolgt, die unter anderem eine »Parlamentsbefassung« vorsehen.

Die Methode

Vor dem Hintergrund unserer Ausgangsüberlegung zur Rolle der Landtage in der Bundesrepublik ist nun zu fragen, wie intensiv sich die Landesparlamente tatsächlich mit den Entwicklungsprogrammen für den ländlichen Raum befassten. Da die wirtschaftliche und soziale Rolle des ländlichen Raums in den deutschen Bundesländern ausgesprochen heterogen ist und sich die Strukturen ländlicher Räume stark unterscheiden, ist in diesem Politikfeld von einem relativ geringen Einfluss der Bundesparteien auszugehen.

Die empirisch feststellbaren großen Unterschiede zwischen den EPLR bestätigen diesen Befund. Doch wurden die Programme hauptsächlich von der Exekutive, also den beteiligten Landesministerien und deren Verwaltungsstäben, entwickelt? Oder nahmen die Landtage ihre Chance wahr, hier kraftvoll mitzuwirken? Um dieser Frage nachzugehen, wurden die Plenarprotokolle aller Landesparlamente im Zeitraum vom September 2005 bis zum Februar 2007 gesichtet. In dieser Zeitspanne bestand für die Länder die Aufgabe, ihre Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum zu erstellen.

Auch wenn die deutschen Landtage insgesamt eher Arbeits- als Redeparlamente sind und der Schwerpunkt der parlamentarischen Arbeit somit in den Arbeitskreisen und Ausschüssen und weniger im Plenum liegt, spiegeln die Plenarsitzungen die inhaltlichen Schwerpunkte der Landtagsarbeit wider. Es wurde untersucht, in welcher Form sich die Landtage im Plenum mit den EPLR beschäftigten (Gesetzesentwürfe, Anfragen, Berichte/Informationen der Regierung, Anträge und »Aktuelle Stunden«) und wie lange die entsprechenden Debatten liefen. Letzteres wurde anhand der gesprochenen Wörter und eines Schätzwertes der zeitlichen Dauer gezählt, der sich aus der Wörterzahl und der Gesamtdauer der Plenarsitzung ergab.

Die Unterschiede in den parlamentarischen Debatten

Im Ergebnis ist zu erkennen, dass die einzelnen Landtage sehr unterschiedlich von ihrem Recht – und ihrer politischen Pflicht – Gebrauch machten, sich mit der Erstellung der Entwicklungsprogramme zu befassen. Auch wenn in allen Bundesländern die Erstellung eines Programmentwurfes in den Händen der Ministerialbürokratie lag, unterschied sich die parlamentarische Diskussion dieser Entwürfe grundlegend.

Während in Hessen und im Saarland keine Plenumsaktivitäten zu den EPLR stattfanden, gab es in immerhin sieben Bundesländern eine parlamentarische Befassung mit den ländlichen Räumen im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses – allerdings meist in die reguläre Haushaltsgesetzgebung des Bundeslandes integriert. Lebhafte parlamentarische Debatten und konkrete Änderungsvorschläge gab es etwa in Niedersachsen, wo die oppositionellen Grünen konkrete Vorschläge für die Verteilung der Mittel innerhalb des Entwicklungsprogramms einbrachten.

Insgesamt war die Förderung der ländlichen Räume im Untersuchungszeitraum fünf Mal auf der Tagesordnung – ein Indikator für die große Bedeutung der Landwirtschaft in Niedersachsen. In einzelnen Bundesländern wie Sachsen fanden »Aktuelle Stunden« statt, in denen die Opposition ihre Kritik an der Erarbeitung der EPLR durch die Landesregierung zum Ausdruck brachte.

Interessant ist zudem, dass es in Sachsen-Anhalt einen gemeinsamen Antrag von Regierungs- und Oppositionsparteien zur wettbewerbsfähigen Landwirtschaft gab und der schleswig-holsteinische Landtag mehrheitlich einem Antrag der oppositionellen Grünen zur Weiterentwicklung der EU-Programme für ländliche Räume zustimmte. Beide Vorgänge sind ein Hinweis darauf, dass das Politikfeld tatsächlich nicht strikt entlang der parteipolitischen Konfliktlinien verläuft und den Landesparlamenten mithin ein Spielraum für die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten zur Verfügung steht.

Die Debatten im Plenum, die im Unterschied zu Diskussionen in den Ausschüssen publiziert sind und somit der Öffentlichkeit ein Bild von den parlamentarischen agrarpolitischen Debatten und dem Mitwirken des Parlaments an der Programmerstellung vermitteln können, waren dabei von sehr unterschiedlicher Dauer.

Während die Flächenländer Hessen und Saarland keine Plenardebatten zu den EPLR führten, wurde in Sachsen in den eineinhalb Jahren der Programmerstellung insgesamt über drei Stunden (193 Minuten) debattiert. Auch im brandenburgischen Landtag und im Landesparlament Rheinland-Pfalz gab es eine ähnlich intensive Debatte (181 bzw. 174 Minuten), wohingegen die meisten Landtage deutlich weniger als zwei Stunden die verschiedenen Konzeptionen zur Entwicklung des ländlichen Raums diskutierten.

Hang zur Selbstentmachtung?

Die gute Nachricht zuerst: Immerhin gilt für (fast) alle Landesparlamente der Bundesrepublik, dass sie in die Ausgestaltung der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums ihrer Länder aktiv involviert waren und insofern der Vorgabe der »Parlamentsbefassung« Folge leisteten. Zudem fand ein Fünftel der parlamentarischen Debatten zu den ländlichen Räumen im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses statt.

Die Plenarprotokolle zeigen jedoch auch, dass vielfach erst die Oppositionsparteien mit ihren Mitteln der Anfragen und »Aktuellen Stunden« das Thema der ländlichen Entwicklung auf die Tagesordnung der Parlamente setzen mussten, während die Regierungsparteien der Ministerialverwaltung die Programmerarbeitung überließen. Der Bundesländervergleich bringt zudem zutage, dass die Landtage ausgesprochen unterschiedlich stark beteiligt wurden. Deutlich wird, dass den Landesparlamenten zumindest zum Teil ein »gewisser Hang zur Selbstentmachtung« zu attestieren ist, der neben den eingangs angedeuteten strukturellen Faktoren zu deren sinkender Bedeutung führt.

Während in den Plenardebatten einzelner Landtage konkurrierende Ideen zur Ausgestaltung der EPLR aufgezeigt und diskutiert wurden, die Öffentlichkeit sich somit ein differenziertes Bild des landespolitischen Spektrums machen konnte, fand die Programmerstellung in anderen Bundesländern – mit Billigung der parlamentarischen Mehrheit – weitgehend außerhalb der Landesparlamente statt. Die Bestellung des neuen Feldes übernahmen andere.

Fußnoten

  1. Reutter, Werner (2006): The Transfer of Power Hypothesis and the German Länder. In Need of Modification, in: Publius. The Journal of Federalism 36, S. 277-301.
  2. Einen Überblick über die Entwicklung der GAP und die EPLR geben z.B.: Fährmann, Barbara; Grajewski, Regin; Koch, Birgit; Peter, Heike: Die Politik zur ländlichen Entwicklung im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik, Berlin 2008 (Schriftenreihe Europäisches Verwaltungsmanagement der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege); Grajewski, Regina: Die Programme zur Entwicklung ländlicher Räume in Deutschland im Vergleich, in: Tietz, Andreas (Hrsg.): Ländliche Entwicklungsprogramme 2007 bis 2013 in Deutschland im Vergleich – Finanzen, Schwerpunkte, Maßnahmen, Völkenrode/Braunschweig 2007, S. 37-46.
  3. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.): Nationaler Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland für die Entwicklung ländlicher Räume 2007-2013, Berlin 2006, S. 57.
  4. Tietz 2007.
  5. Da Brandenburg und Berlin sowie Niedersachsen und Bremen jeweils ein gemeinsames EPLR erstellten, wurden insgesamt 14 Parlamente analysiert.
  6. Vgl. Ewert, Stefan; Buchstein, Hubertus: Landtag und Gesetzgebung, in: Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.): Politische Landeskunde Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2006, S. 88-105, hier: S. 88.

Autor:innen

B.A. Politikwissenschaft

Forschungsschwerpunkte
Agrarpolitik
Kooperation im Ostseeraum
Landesparlamentarismus

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