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Entwicklungshilfe in Afrika

Ohne Frauen geht es nicht

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Im Jahr 2000 einigten sich Vertreter der Vereinten Nationen, der Weltbank, der OECD und verschiedener Nichtregierungsorganisationen auf acht zentrale Entwicklungsziele. Bekannt wurden sie unter dem Begriff »Millenniumsziele«. Bis Ende 2015 sollten sie erreicht werden.

Neben dem Auftrag, (1) die extreme Armut und den Hunger sowie (2) HIV und AIDS zu bekämpfen, (3) die Kindersterblichkeit zu senken, (4) eine ökologische Nachhaltigkeit zu begünstigen, (5) eine globale Partnerschaft für Entwicklung aufzubauen, standen drei Ziele im Zeichen (6 – 8) der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung der Rolle der Frau. Da viele Mädchen keinen Zugang zu Bildung hatten, wurde eine Grundschulbildung für alle gefordert. Durch verbesserte Gesundheitsversorgung der Mütter sollte die Sterblichkeitsrate gesenkt werden.

Spätestens Anfang nächsten Jahres wird eine abschließende Bilanz gezogen. Sowohl die Fortschritte der wohlhabenden Länder als auch die der ärmeren Länder werden geprüft. Die Errungenschaften der Entwicklungsländer sind hierbei besonders aufschlussreich. Neben den Ländern Afrikas gehören beispielsweise Südostasien, Lateinamerika, die Karibik und Zentralasien (einschließlich dem Kaukasus) zu dieser Gruppe. Da die Ziele sehr umfangreich und vielschichtig sind, soll in dieser Bilanz nur auf einen – allerdings sehr weitreichenden – Aspekt eingegangen werden: die Gleichstellung der Geschlechter in Afrika. Welche Fortschritte wurden in diesem Bereich bisher erzielt?

Anzeiger für die Gleichstellung von Frau und Mann sind sowohl das Verhältnis der Jungen zu den Mädchen auf den verschiedenen Bildungsstufen, das Verhältnis männlicher und weiblicher Analphabeten, als auch der Anteil der erwerbstätigen Frauen im Nicht-Agrarsektor und der Sitzanteil der Frauen in nationalen Parlamenten.

Ziel verfehlt

Eine Gleichstellung ist laut des Berichts der Vereinten Nationen unter anderem dann erreicht, wenn das Verhältnis der Jungen zu den Mädchen bei der Bildungsbeteiligungsquote zwischen 0,97 und 1,03 liegt. Was die unterste Bildungsstufe betrifft, sind die Länder südlich der Sahara (Subsahara-Afrika) nach wie vor im Nachteil. Sie liegen deutlich unterhalb dieses kritischen Wertes.

Aber innerhalb dieser Region gibt es große Verbesserungen in Benin, Burkina Faso, Guinea, Mauretanien, Senegal, Sierra Leone und im Tschad. Hier besuchen nun 30 bis 40 Prozent mehr Mädchen die Grundschule. Die größten Fortschritte innerhalb aller Entwicklungsländer haben die Staaten Nordafrikas erzielt (Anstieg der Quote von 0,82 auf 0,96).

Armut, Geschlecht und Wohnort sind die Faktoren, die am stärksten mit Unterschieden beim Schulbesuch verknüpft sind. In den ärmsten Haushalten sind Mädchen häufiger von Bildung ausgeschlossen als Jungen. Wenn sie zudem noch in ländlichen Gebieten wohnen, schließen in Subsahara-Afrika nur 23 Prozent der Mädchen die Grundschule ab.

Was die höhere Schulbildung betrifft, so hat Nordafrika bereits knapp die Gleichstellung erreicht (0,97). Südlich der Sahara besucht jedoch oft nur die Hälfte der Mädchen, gemessen an der Zahl der Jungen, die Oberstufe.

Weltweit betrachtet stieg die Alphabetisierungsquote seit 1990 zwar um sechs Prozentpunkte an (von 83 auf 89 Prozent), aber sowohl in der Altersgruppe der Erwachsenen als auch der Jugendlichen liegt die Quote der Frauen, die nicht über eine grundlegende Lese-und Schreibfähigkeit verfügen höher als die der Männer (in beiden Gruppen bei über 60 Prozent).

Auf alle Entwicklungsländer bezogen ist die Zahl der Kinder, die keine Schule besuchen, trotz der vereinbarten Millenniumsziele kaum gesunken. Die wohlhabenden Länder haben ihr Versprechen, dass kein Land aufgrund fehlender Mittel zurückbleiben soll, in diesem Fall nicht eingehalten. In Subsahara-Afrika ging die Hilfe in den Jahren 2011 bis 2012 sogar um sieben Prozent zurück.

Unabhängige Frauen widersprechen traditionellen Rollen

Jedoch lassen sich hinsichtlich der Erwerbstätigkeit Fortschritte anführen. So ist die Zahl der Frauen im nicht-landwirtschaftlichen Bereich langsam gestiegen, auch wenn es innerhalb von zwölf Jahren gerade einmal fünf Prozent sind. Hier zeigt sich im Vergleich zum Zugang zur Bildung ein umgekehrtes Bild. Es lässt sich ein Nord-Süd-Gefälle feststellen. Während die Länder Subsahara-Afrikas in diesem Bereich zehn Prozentpunkte zugelegt haben, lag der Frauenanteil innerhalb der nicht-landwirtschaftlichen Tätigkeit in Nordafrika schon 1990 am niedrigsten. Bis heute ist kein nennenswerter Anstieg zu verzeichnen.

Für alle Entwicklungsländer gilt: Frauen sind nicht nur seltener erwerbstätig, sie sind auch häufiger nur teilzeitbeschäftigt. Der Anteil der Frauen in Teilzeit ist mehr als doppelt so hoch wie der der Männer. Die Hauptfaktoren dafür sind: traditionelle Rollenmuster innerhalb der Familie, Betreuung der Kinder und Alten sowie andere gesellschaftliche Verpflichtungen (beispielsweise Organisation und Zubereitung der Mahlzeiten).

Ein weiteres Anzeichen für die Gleichstellung von Frau und Mann ist die Frauenquote in politischen Ämtern. Bezogen auf alle im Bericht der Vereinten Nationen betrachteten Entwicklungsländer waren im letzten Jahr 21,8 Prozent aller Parlamentsmitglieder weiblich. Das ist eine Steigerung von 20 Prozent gegenüber 2013.

Die größten Fortschritte in diesem Bereich sind in Nordafrika zu beobachten. Der Sitzanteil in nationalen Parlamenten hat sich innerhalb von 14 Jahren um 20 Sitze erhöht. Diese Quoten sind zwar wichtig aber nicht ausreichend. Politische Parteien müssen mehr weibliche Kandidaten aufstellen, damit diese die Chance haben, gewählt zu werden.

In allen untersuchten Ländern wächst seit 2013 auch das Bewusstsein dafür, dass die in den Jahrzehnten zuvor recht verbreitete politische Gewalt gegen Frauen verhindert werden muss. Gewalt vor und nach den Wahlen beziehungsweise Aggressionen gegenüber Kandidatinnen und Amtsträgerinnen waren keine Seltenheit. Je stärker Frauen eingeschüchtert werden, desto weniger sind bereit, sich für ein Amt aufstellen zu lassen.

Frauen arbeiten, Männer bekommen den Lohn

Der letzte aber nicht unerhebliche Hinweis auf die Verbesserung der Situation der Frauen ist die Reduzierung der Müttersterblichkeit. In den afrikanischen Ländern südlich der Sahara haben sich die Sterbefälle während oder nach der Geburt fast um die Hälfte reduziert. In Nordafrika ist die Zahl zwischen 1990 und 2013 von 160 auf 69 gesunken. Was in den westlichen Staaten gängige Praxis ist, gehört in Afrika zur Ausnahme: Schwangerschaftsvorsorge und eine medizinische Fachkraft vor Ort. Der Großteil der Sterbefälle ist demnach durch grundlegende gesundheitliche Standards vermeidbar.

Angesichts der verbesserten Situation für Frauen in den Entwicklungsländern, lässt sich hier ein gewisser Erfolg der Millenniumsziele bescheinigen. So gab es Fortschritte hinsichtlich der Reduzierung der Müttersterblichkeit, der Steigerung der Abschlussquote der unteren Bildungsstufe und der politischen Beteiligung von Frauen.

Allerdings muss noch nachdrücklicher gegen den Analphabetismus und Gewalt gegen Frauen vorgegangen werden. Die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben ist die Grundvoraussetzung für den weiteren Bildungsweg und den Zugang zu Arbeit, die nicht auf den agrarwirtschaftlichen Bereich beschränkt ist. Noch immer ist es weit verbreitet, dass Frauen in Afrika keinen Lohn beziehungsweise kein offizielles Gehalt bekommen. Da Lohn die Voraussetzung für (finanzielle) Unabhängigkeit und nicht zuletzt ein Mittel der Wertschätzung ist, müssen Maßnahmen eingeleitet werden, um sicherzustellen, dass Frauen eine angemessene Bezahlung erhalten.

Hinzu kommt, dass afrikanische Frauen zwar 80 Prozent aller Nahrungsmittel produzieren, ihnen jedoch nur ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche gehört.

Hinzu kommt, dass afrikanische Frauen zwar 80 Prozent aller Nahrungsmittel produzieren, ihnen jedoch nur ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche gehört. Hier ist die afrikanische Gesellschaft am weitesten von einer Gleichstellung der Geschlechter entfernt. Durch die gezielte Förderung bestimmter Faktoren ließe sich eine langsame Annäherung erreichen: Wenn Mädchen häufiger die Chance hätten, die Oberstufe abzuschließen und sogar einen akademischen Weg einzuschlagen, dann könnten sie auch ihre Rechte vehementer vertreten. Wenn sie über ein höheres Einkommen verfügen, sind sie in der Lage, Nutzflächen zu kaufen und können von ihren eigenen Erzeugnissen leben.

Hält der Westen Afrika klein?

Aufgrund ihrer niedrigen sozialen Stellung sind Frauen in vielen afrikanischen Staaten auch häufiger Opfer häuslicher Gewalt. Da Frauen jedoch wirtschaftlich abhängig von ihren Männern sind, können sich sich oftmals nicht aus dieser Lage befreien.

Auch die weitverbreitete Genitalverstümmelung der Mädchen zeigt die Ablehnung der weiblichen Selbstbestimmung deutlich. Hauptverbreitungsgebiete dieses Brauches sind Staaten im westlichen und nordöstlichen Afrika. So sind 2015 in Guinea, Ägypten und Somalia 90 bis 99 Prozent der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der Unterordnung unter Traditionen über die Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung bei Nicht-Beschneidung und religiöser Aspekte bis hin zur Unterdrückung der weiblichen Sexualität.

Für alle angeführten Probleme ist Bildung ein wichtiger Baustein zu deren Lösung. Das mag einfach klingen, die Durchsetzung der erforderlichen Maßnahmen ist jedoch äußerst langwierig und schwierig. Es müssen zahlreiche religiöse und kulturelle Überzeugungen »überwunden« werden. Dabei geht es nicht um das grundlegende Verbot solcher Traditionen, sondern um die Aktualisierung veralteter Ansichten. Dies kann nur über Aufklärung geschehen. Vorallem sollte über die weitreichenden Auswirkungen mangelnder Bildung der Frauen informiert werden.

Die Zusammenhänge liegen auf der Hand: Je höher der Bildungsgrad der afrikanischen Mütter, desto geringer die Säuglings-und Kindersterblichkeit. Mit jedem Schuljahr, das die Kinder absolvieren, nimmt die Kindersterblichkeit um fünf bis zehn Prozent ab. Gebildetere Frauen haben kleinere Familien, achten eher auf gesundheitliche Versorgung ihrer Kinder und sorgen dafür, dass sie eine Schule besuchen. Geringe Bildung wirkt sich auf die Berufschancen der Frauen aus. Die begrenzte Anzahl der arbeitenden Frauen widerrum verringert das jährliche Pro-Kopf-Einkommen eines Landes um 0,8 Prozent.

Der zentrale Ansatz der Vereinten Nationen ist demnach richtig: Die Förderung von Frauen wirkt sich positiv auf den Wohlstand eines Landes und damit auf die Wirtschaft aus. Allerdings ist diese Erkenntnis nicht neu. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Situation sind bisher eher kläglich.

Finanzielle Unterstützung durch die reicheren Staaten genügt nicht. Es muss gezielt Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden, damit Strukturen geschaffen werden können, die zur einer langfristigen Verbesserung beitragen. Dabei ist es besonders wichtig, die Gesellschaft vor Ort aktiv miteinzubeziehen.

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