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100% erneuerbare Energien

Die Utopie, die keine mehr ist

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Solarstrom aus der Wüste, Wasserkraft aus den Bergen und Windkraft aus Nordeuropa – das ist die Idee eines Konzeptes mit Namen Desertec. Erneuerbare Energien sollen dort gewonnen werden, wo ihre Vorkommen am größten sind. Wenn alle diese Regionen miteinander vernetzt wären, könnte Europa Stromengpässe kompensieren und auf fossile Brennstoffe verzichten.

Das Besondere an Desertec liegt jedoch nicht in dieser Idee, sondern in ihren Ideenträgern. Das Projekt wurde nicht, wie vielleicht vermutet, von »Hippies« und »abgedrehten Weltverbesserern« im Bauwagen entworfen, sondern von den größten Energie- und Finanzkonzernen Europas und Afrikas. Ausgearbeitet wurde das Konzept vom umstrittenen und elitären Club of Rome, dessen Mission nichts weiter ist, als die Zukunft der Menschheit zu retten. Das war bereits in den 80er-Jahren. Nach der Jahrtausendwende fand das Projekt entscheidende Unterstützer wie RWE, E.ON, die Deutsche Bank und dem italienischen Energieriesen Enel. Der Hauptsitz der Gesellschaft war München.

Die Desertec-Gesellschaft führte Standortanalysen durch und nahm Kontakt mit den Regierungen und Behörden vor Ort auf. Die größte Erkenntnis dabei schien gewesen zu sein, dass die Voraussetzungen im Norden Afrikas besonders interessant für erneuerbare Energien sind.

Der von den Medien oft genutzte Slogan »Afrikanischer Solarstrom für Europa« konterkarierte die ursprüngliche Idee der interkontinentalen, gegenseitigen Vernetzung. Dabei waren die Vernetzung und der Stromexport nach Europa ohnehin erst dann vorgesehen, wenn die nordafrikanischen Staaten ihren eigenen Strombedarf gedeckt hätten.

In erster Instanz half Desertec den Staaten, die für ihre Region richtigen Techniken der Energiegewinnung zu finden. Marokko, Tunesien, Algerien und Libyen bekamen auf diese Weise überhaupt erst umfangreiches Fachwissen über erneuerbare Energien und erkannten die unvorstellbaren Möglichkeiten ihrer Standorte im »Sonnengürtel« der Erde.

Ein mit Solarkraftwerken bestücktes Quadrat, das 300 Kilometer lang und breit ist, würde ausreichen, um die gesamte Welt mit Strom zu versorgen

Ein mit Solarkraftwerken bestücktes Quadrat, das 300 Kilometer lang und breit ist, würde ausreichen, um die gesamte Welt mit Strom zu versorgen. Die Sonne ist als Energiequelle unschlagbar und eine solche Anlage zerstörte in der Wüste praktisch keinen Lebensraum.

Für die Sahara hatte man sich gegen die Photovoltaiktechnik entschieden und stattdessen komplett auf Sonnenwärmekraftwerke gesetzt. Diese bündeln Licht über Reflektoren (Spiegel) auf einen Punkt, erhitzen diesen und produzieren dadurch Strom oder geben die Wärme an einen Wasserkreislauf ab. Die Technik ermöglicht es zudem, mit wenig Aufwand Energie zu speichern (sogenannte Solarteichkraftwerke), wodurch deutlich beständiger Strom geliefert werden kann. Sonnenwärmekraftwerke sind erst ab einer gewissen Größe rentabel, haben dann aber einen höheren Wirkungsgrad als Photovoltaikanlagen. Für das Großvorhaben Desertec schien die Technologie deshalb optimal zu sein.

In der Sahara produziert ein solches Kraftwerk dreimal mehr Strom als in Europa. Hochspannungsleitungen könnten den Strom mit lediglich zehn Prozent Verlust nach Europa leiten

Die Vernetzung der Welt – das Supergrid

In der Sahara produziert ein solches Kraftwerk dreimal mehr Strom als in Europa. Hochspannungsleitungen könnten den Strom mit lediglich zehn Prozent Verlust nach Europa leiten – natürlich erst dann, wenn der lokale Strombedarf gedeckt ist. Desertec strebte danach, alle Regionen Afrikas, Europas und Asien miteinander zu verbinden. Die Beteiligten nannten das »Supergrid«. 400 Milliarden Euro sollten insgesamt investiert werden, um Stromleitungen durch das Mittelmeer zu verlegen und unvorstellbar große Solarkraftwerke in der Wüste zu bauen.

Damit keine Abhängigkeiten zwischen Staaten entstehen, wie es zum Beispiel für Russland und seine Nachbarstaaten zutrifft, sollten Kraftwerkszusammenschlüsse oder Energievereinigungen verboten werden. Erst wenn es im Supergrid jederzeit eine alternative Quelle für den Stromimport gibt, funktioniert das System.

Käme es beispielsweise zu politischen Spannungen zwischen Spanien und Marokko, müsste es der Idee nach immer die Möglichkeit geben, den Strom aus Algerien, Tunesien oder einem anderen Land zu beziehen. Um das zu gewährleisten, versuchte Desertec so viele Knotenpunkte wie möglich miteinander zu verbinden und mehrere Stromleitungen zwischen Afrika und Europa zu verlegen. Das Auslassen einer Energielieferung hätte in dem Fall immer nur Schaden für den bedeutet, der nicht kooperiert, weil ihm Einnahmen entgingen, die dann seine Nachbarländer bekommen.

Woran das Projekt gescheitert ist

Desertec war so vielversprechend, weil sich sehr viele bedeutende Firmen daran beteiligten. Einige hatten sicher ehrliches Interesse an den Zielen und der Vision, andere sprangen lediglich auf, um im Falle des Gelingens nicht zu spät zu kommen. 2014 zerfiel Desertec zu einer bloßen Beratungsfirma und verlegte seinen Hauptsitz von München nach Dubai, fördert aber weiterhin Studien zu erneuerbaren Energien. Die einstige Stärke des Projekts, seine starke wirtschaftliche Verflechtung, ist heute nicht mehr vorhanden. Alle Großfirmen sind wieder abgesprungen. Desertec ist gescheitert.

Warum haben Energiefirmen heute kein Interesse mehr an dem Projekt? Vor allem aufgrund des Arabischen Frühlings. Die politischen Umstürze der nordafrikanischen Staaten haben den westlichen Energieriesen gezeigt, wie sensibel das Projekt ist und wie sehr es von den politischen Verhältnissen der afrikanischen Staaten abhängt. Ursprünglich sollte das Supergrid auch dazu beitragen, politische und wirtschaftliche Standards anzupassen. Die Revolution quer durch die arabischen Staaten hat dieser Vorstellung vorzeitig die Kraft genommen.

Der Arabische Frühling ist aber nicht der alleinige Grund für das Scheitern von Desertec. Wie bei Großprojekten üblich, wurde den Geldgebern immer deutlicher bewusst, dass die Ziele und vor allem deren Zeitvorgaben nicht zu erreichen sind. Die Kraftwerke wurden verspätet gebaut oder blieben in der Planungsphase stecken. Vielleicht wurden die Ziele zu hoch gesetzt und die eigenen »Überzeugungsfähigkeiten« gegenüber nordafrikanischen Behörden überschätzt.

Desertec ist gescheitert, die Idee wird trotzdem umgesetzt

Seit dem Scheitern von Desertec bauen einige nordafrikanische Staaten Kraftwerke in eigener Verantwortung und ohne Masterplan. Das nötige Fachwissen haben sie von Desertec erhalten. Sie haben sich über ein Jahrzehnt lang angehört, was in ihrer Heimat möglich ist und anscheinend erkannt, dass die Idee der Sonnenwärmekraftwerke auch ohne Desertec sinnvoll ist. Die Ambitionen sind dabei auf keinen Fall gering: Das größte Solarwärmekraftwerk der Welt entsteht derzeit in Marokko. Es ist auch deshalb so groß, weil König Mohammed VI. selbst als Initiator und Unterstützer gilt. Das Kraftwerk entsteht in Ouarzazate, einem Ort, der bisher für seine Filmkulissen und Mondlandschaften bekannt war. Es wird 2.000 Megawatt leisten und könnte damit etwa 700.000 europäische Privathaushalte mit Strom versorgen. Ein durchschnittliches deutsches Kernkraftwerk leistet die Hälfte davon.

Der Energiebedarf Marokkos wächst jedes Jahr um etwa sieben Prozent. Gleichzeitig besitzt das Land keine Bodenschätze: kein Erdöl, kein Erdgas, keine Steinkohle. In der Vergangenheit musste es über 95 Prozent seiner Energie importieren. Die Regierung hat deshalb die Flucht nach vorne gewagt und sich auf die Ressource gestürzt, die bisher vollkommen ungenutzt auf das Land schien – die Sonne. Das angestrebte Ziel ist ambitioniert und übertrifft das der europäischer Staaten deutlich: Marokko will bereits bis 2020 über 42 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Neben den Solarkraftwerken wird auch in die Technik von Wasserkraftwerken investiert.

Deutsche profitieren

Ganz umsonst war die Arbeit von Desertec für deutsche Firmen jedoch nicht, denn das, was Marokko heute in die Wüste setzt, wird von der deutschen KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) mit Krediten finanziert und teilweise von Siemens gebaut.

Auch Marokkos Nachbar Algerien will ohne Desertec in erneuerbare Energien investieren. Die Projekte dort sind allerdings lange nicht so groß wie die marokkanischen, was vielleicht daran liegt, dass Algerien im Gegensatz zu Marokko über große Gasvorkommen verfügt. Auch in Algerien werden deutsche Wissenschaftler, beispielsweise vom Institut für Solarforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, herangezogen. Denn der Prototyp des für Algerien geplanten Kraftwerks steht im deutschen Jülich.

Die libysche Regierung will bereits 2020 über 20 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen

In Tunesien entsteht derzeit ein von Briten unterstütztes Solarkraftwerk, Ägypten und sogar Libyen planen riesige Investitionen im gleichen Sektor. Die libyschen Ölvorkommen werden in 20 bis 30 Jahren erschöpft sein. Deshalb will die Regierung bereits 2020 über 20 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen.

Auch wenn diese nordafrikanischen Staaten zunächst ihren eigenen Energiebedarf decken, eine Hochspannungsleitung zwischen Marokko und Spanien besteht bereits, eine weitere zwischen Tunesien und Italien wird derzeit gebaut. Das Supergrid, das Desertec einst plante, wird überraschenderweise auch ohne Desertec gebaut. Die einzelnen Bestandteile und Akteure des Großprojektes scheinen auch ohne die Dachorganisation zu funktionieren. Dadurch ist die von Desertec geschaffene Utopie einer vernetzten Welt der erneuerbaren Energie eventuell gar keine.

Fußnoten

  1. »Desertec hoch zehn«, ein Interview mit Bernhard Hoffschmidt, auf: energiezukunft.eu (18.12.2015).
  2. Borchers, Jens: Marokko. Desertec stirbt, die Wüste lebt, auf: deutschlandfunk.de (15.10.2014).
  3. Im Gebiet der Westsahara existieren Ölquellen, die aber derzeit kaum erschlossen werden.

Autor:innen

Der Herausgeber von KATAPULT und Chefredakteur von KATAPULTU ist einsprachig in Wusterhusen bei Lubmin in der Nähe von Spandowerhagen aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft und gründete während seines Studiums das KATAPULT-Magazin.

Aktuell pausiert er erfolgreich eine Promotion im Bereich der Politischen Theorie zum Thema »Die Theorie der radikalen Demokratie und die Potentiale ihrer Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten«.

Veröffentlichungen:
Die Redaktion (Roman)

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