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Hate Speech

„Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“

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Glaubt man Politik und Medien, dann ist Hate Speech in aller Munde, und das in doppelter Hinsicht: Einerseits flutet eine Vielzahl von Hasskommentaren das Internet und untergräbt die Fundamente des demokratischen Diskurses. Andererseits ist Hate Speech als Phänomen Thema in Feuilletons und Kneipen, und mit ihm die Diskussion über angemessene Formen der politischen Teilhabe und die Grenzen der Meinungsfreiheit.

Ein Beleg dafür ist beispielsweise der Anstieg des Gebrauchs einschlägiger Begriffe auf »Spiegel Online« in den letzten zwei Jahren. Auffällig ist freilich, dass das Wort »Hetze« häufiger verwendet wird als das englische »Hate Speech« und seine Lehnübersetzung »Hassrede«. Zwar mag »Hetze« intuitiv verständlicher sein, es ist aber semantisch ungenauer und hat ein erheblich umfangreicheres Bedeutungsspektrum als der Begriff »Hate Speech«. Aus dieser begrifflichen Ungenauigkeit speist sich die Erregung, mit der die Debatte um Hate Speech geführt wird.

Wenn ich jemanden als »Arschloch« bezeichne, beleidige ich ihn zwar, aber Hate Speech ist es deswegen noch nicht

Was ist Hate Speech?

Nicht jede Beleidigung und nicht jede Hetze ist Hate Speech. Wenn ich einen Autofahrer, der mir die Vorfahrt nimmt, als »Arschloch« bezeichne, dann beleidige ich ihn zwar. Aber Hate Speech ist es deswegen noch nicht, selbst wenn es mein alter Bekannter Gerd ist, mit dem ich schon länger in Feindschaft verbunden bin, den ich vielleicht sogar hasse.

Hate Speech ist eine Sonderform der Herabwürdigung. Eine Herabwürdigung besteht darin, dass einer Person eine soziale Identität zugeschrieben wird, die von der Mehrheit der Gesellschaft negativ beurteilt wird: eine unwerte, moralisch verwerfliche oder randständige Identität.

Diese Zuschreibung, auch wenn sie rein sprachlich erfolgt, ist mehr als bloß Worte. Sie hat Auswirkungen im realen Leben. Mit ihr sind Vorstellungen davon verbunden, wie man mit Personen, denen diese Identität zugeschrieben wird, umgehen kann oder sogar umzugehen hat. Ein »Arschloch« zu sein, ist für die meisten Menschen keine positive Eigenschaft und wer als Arschloch gilt, dem begegnet man mit wenig Freundlichkeit, der wird ausgegrenzt und mit Missachtung gestraft.

Im Unterschied zu anderen Formen der Herabwürdigung liegt Hate Speech dann vor, wenn sie ihre herabwürdigende Kraft daraus bezieht, dass eine Person einerseits als Vertreterin einer Gruppe bezeichnet wird und ihr andererseits negative Eigenschaften zugeschrieben werden, die dieser Gruppe vermeintlich kollektiv, universell und unveränderbar zukommen.

Wenn bei Pegida Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten »triebgesteuerte afrikanische Fickilanten« genannt werden, dann handelt es sich um Hate Speech

Das klingt kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach: Wer eine Person als »geldgierigen Juden« bezeichnet, der kommuniziert im Modus von Hate Speech - indem er einer Person eine negativ bewertete Eigenschaft zuschreibt (geldgierig sein) und diese Zuschreibung damit begründet, dass die Person Angehörige einer Gruppe sei, für die Geldgier eine wesentliche Eigenschaft wäre. Wenn bei Pegida Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten »triebgesteuerte afrikanische Fickilanten« genannt werden, dann handelt es sich um Hate Speech. Denn die Bezeichnung schreibt Personen eine negativ bewertete Eigenschaft zu und begründet dies damit, dass sie zur Gruppe der Afrikaner gehörten, deren Angehörige quasi von Natur aus triebgesteuert seien.

Daran ist natürlich so ziemlich alles falsch: Selbstverständlich ist jede Person als Individuum zu behandeln. Ihre Persönlichkeit ist nicht durch die Zugehörigkeit zu einer einzigen Gruppe determiniert. Die Gruppen, zu deren Vertretern einzelne Personen sprachlich gemacht werden, sind soziale Konstrukte und daher auch nicht durch natürliche, bei allen Vertretern vorhandene Eigenschaften abgrenzbar.

Im Internet funktioniert Hate Speech besonders gut

Damit eine Aussage den beabsichtigten herabwürdigenden Effekt hat, ist es nicht genug, sie öffentlich oder zumindest für den zu Beleidigenden wahrnehmbar zu äußern. Sie könnte als irrelavant ignoriert oder als Zeichen einer nicht »normgemäßen Geistesverfassung« des Beleidigers zurückgewiesen werden. Damit die Zuschreibung zu einer randständigen und entwürdigten sozialen Identität gelingt, muss sie von Dritten, die Zeuge der herabwürdigenden Äußerung sind, anerkannt werden.

Ohne Applaus, ohne die Likes auf Facebook hätte Hate Speech keine Chance

Nur wenn eine relevante Gruppe von Menschen die Zuschreibung der negativen Eigenschaft als zutreffend bestätigt, hat dies Folgen für die soziale Identität der Betroffenen. Das unterscheidet sprachliche Gewalt auch von physischer Gewalt: Physische Gewalt kann aufgezwungen werden, symbolische Gewalt bedarf der Anerkennung durch Dritte. Damit Hate Speech wirken kann, braucht sie daher die Öffentlichkeit, den Skandal. Ohne Applaus, ohne die Likes auf Facebook hätte Hate Speech keine Chance.

Die Aussicht auf Anerkennung steigt, wenn sich die Herabwürdigung auf Vorurteile und auf Wissen bezieht, das in einer Gesellschaft ganz selbstverständlich und unhinterfragt als wahr gilt. Frauen sind »das schwache Geschlecht«, Schwarze sind »faule, sinnliche Menschen« mit »Rhythmus im Blut«, Japaner sind »verklemmt«, Asiaten »sehen alle gleich aus«, Deutsche sind »ordentlich« und »arbeitsam«.

Noch größer sind die Chancen auf Anerkennung, wenn eine Gruppe selbst über den Einfluss verfügt, gesellschaftliche Vorstellungen davon zu erzeugen, was als wahres Wissen gilt. Die Filterblasen der sozialen Netzwerke, in denen jeder geteilte Informationsschnipsel beispielsweise zur Konstruktion eines Wissens um den vermeintlich kriminellen Charakter des Ausländers beiträgt und jeder Widerspruch als Manipulation der Lügenpresse gedeutet wird, können Normvorstellungen prägen.

Warum streiten wir überhaupt über Hate Speech?

Aus dem bisher Gesagten sollte klar geworden sein, dass Hate Speech in öffentlichen Debatten verzichtbar ist und in den meisten Fällen kontraproduktiv wirkt. Menschen auf ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe und auf negative Eigenschaften zu reduzieren, die vermeintlich allen Menschen dieser Gruppe quasi natürlich und unveränderlich zukommen, ermöglicht keine Verständigung und löst keine Probleme, sondern führt zu Entwürdigung, Ausgrenzung und Feindseligkeiten. Man sollte meinen, dass niemand ernsthaft dagegen sein kann, Hate Speech sozial zu ächten. Warum wird um Hate Speech dennoch so leidenschaftlich gestritten? Dafür gibt es drei Gründe.

Erstens wird die Bezeichnung »Hate Speech« im öffentlichen Diskurs auch für Äußerungen verwendet, die ebenfalls unschön, aber kein Hate Speech im Sinne der obigen Begriffsbestimmung sind. Etwa für persönliche Beleidigungen oder allgemein abfällige Äußerungen über Gruppen, deren abwertende Kraft sich nicht aus der Bezugnahme auf angeblich natürliche Gruppeneigenschaften speist. Weil aber der Vorwurf der Hassrede schwer wiegt, provoziert eine zu starke Ausweitung des Begriffs Widerstand.

Der Streit um Hate Speech entfacht sich zweitens daran, dass gesellschaftlich umstritten ist, was eigentlich als eine Herabsetzung gelten kann. Zwar legt die obige Definition Eindeutigkeit im Hinblick darauf nahe, welche Beleidigung Hate Speech ist und welche nicht. Allerdings lässt sie offen, was denn eigentlich eine randständige soziale Identität ist. Und sie lässt die Frage unbeantwortet, was negative Eigenschaften sind.

Ist es bereits herabwürdigend, die Herkunft, den Glauben oder die sexuelle Orientierung einer Person in einem Gespräch zu benennen?

Ist es bereits herabwürdigend, die Herkunft, den Glauben oder die sexuelle Orientierung einer Person in einem Gespräch zu benennen? Ist die Zuschreibung von Eigenschaften wie »weiblich«, »dick«, »behindert«, »türkisch« oder »glatzköpfig« geeignet, gruppenspezifische negative Stereotype zu transportieren und damit eine Person abzuwerten? Drückt der Satz »Was sagst du als Frau dazu?« ein argloses Interesse an einer genderspezifischen Sichtweise aus? Oder kommt mit ihm zum Ausdruck, dass für den Frager die Sichtweise seines Gegenübers ausschließlich von seinem Frausein bestimmt und »weiblich« das von der Norm abweichende Geschlecht ist?

Drittens ist die Frage umstritten, wie Hate Speech eigentlich realisiert werden muss, um Hate Speech zu sein. Kann man nur dann von Hate Speech sprechen, wenn eine Person oder Personengruppe direkt angesprochen wird? Oder ist auch die indirekte Form, wie das Vorkommen des »N-Wortes« in einem Kinderbuch, Hate Speech? Oder sind gar bildliche Ausdrücke wie »der Vergleich hinkt« herabwürdigend, weil sie einen Fehler mit einer körperlichen Einschränkung verknüpfen?

Diese Fragen lassen sich nicht objektiv entscheiden. Welche Art der sprachlichen Äußerung als Herabsetzung gilt, welche Zuschreibungen zu Ausgrenzung und Herabwürdigung führen, ist das Ergebnis gesellschaftlicher Debatten, in denen wir uns gerade befinden.

Kritik an Hate Speech führt zu Meinungsvielfalt

Es wäre aber zu einfach, die Debatte um Hate Speech ausschließlich als einen Kampf um Wörter zu beschreiben. Es geht um viel mehr: Sie aktualisiert Konflikte um Teilhabe, um Deutungsmacht und damit um die soziale Ordnung.

Wir sollten nicht jenen auf den Leim gehen, die behaupten, die Stigmatisierung von Hate Speech diene lediglich dazu, die Wahrheit zu unterdrücken und die demokratische Debattenkultur einzuschränken

Wenn über die Frage gestritten wird, ob die Bezeichnung »Fettleibigkeit« noch verwendet werden sollte oder nicht, dann geht es auch um die Frage, welche negativen Eigenschaften mit dieser Zuschreibung transportiert werden. Welche ausgrenzenden Effekte kann diese Zuschreibung für die Betroffenen haben, sei es bei der Arbeitsplatzsuche, im Gesundheitssystem oder beim Knüpfen sozialer Beziehungen? Mit der Diskussion um die Bezeichnung gerät also immer auch die Frage in den Blick, ob die Bezeichneten eine ausgegrenzte Gruppe sind, deren Mitgliedern ohne Ansehen der Person negative Eigenschaften zugeschrieben werden, oder nicht.

Wir sollten nicht jenen auf den Leim gehen, die behaupten, die Stigmatisierung von Hate Speech diene lediglich dazu, die Wahrheit zu unterdrücken und die demokratische Debattenkultur einzuschränken. Das Gegenteil ist der Fall: Über die Grenzen von Hate Speech sollten wir leidenschaftlich debattieren, denn die Debatte ist ein Medium der Verständigung darüber, wie unsere Gesellschaft aussehen soll. Ganz gleich, zu welchem Ergebnis wir im Einzelfall auch kommen: Es ist eine Debatte mit und über jene, die nicht ins Normalitätsraster aller passen und die sich bislang wenig Gehör verschaffen können. Und schon dies ist ein Schritt hin zu einer größeren Meinungsvielfalt und einer inklusiveren Gesellschaft.

Autor:innen

Technische Universität Dresden

Forschungsschwerpunkte
Sprache in der Politik
Korpuslinguistik
Invektivität

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