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Politisches Framing

Am Anfang war das Wort

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Das Phänomen ist altbekannt: Ist das Glas auf meinem Schreibtisch halb leer oder halb voll? Beides ist zweifelsohne der Fall, trotzdem müssen wir uns für eine Variante entscheiden, wenn wir sprachlich auf die Menge an Wasser, die sich im Glas befindet, Bezug nehmen wollen. Was machen wir also, wenn wir bestimmte sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten beziehungsweise Kategorien wählen, um einen Sachverhalt zu erfassen?

Im vorliegenden Beispiel lässt sich sagen, dass wir mit sprachlichen Mitteln das Wahrgenommene vergegenständlichen, um auf diese Weise darüber mit Anderen sprechen zu können. Sprachliche Vergegenständlichung ist die Bedingung für Kommunikation. Dabei darf Kommunikation, also der zweckgerichtete Austausch zwischen mindestens zwei Personen, nicht verwechselt werden mit der Vermittlung von objektiven Fakten. Wenn wir von einem halb leeren oder halb vollen Glas sprechen, bleibt der Gegenstand, auf den wir Bezug nehmen, derselbe, nicht aber die Art seiner kognitiven, das heißt begrifflich-verstehenden, Rahmung und sprachlichen Erfassung. Ein »neutraler« Zugriff bleibt uns verwehrt. Wir verstehen die Welt - auch dann, wenn sich diese in einem Glas mit Wasser erschöpft – nur so, wie wir sie rahmen.

Die Welt, wie wir sie rahmen

In Anlehnung an den englischen Ausdruck »frame« (»Rahmen«) spricht man auch von »Framing«. Mittels Framing erschließen wir uns die Welt. Framing ist kein Beiwerk, sondern ein Prozess, der notwendig ist, um einen Gegenstand oder Sachverhalt zu erfassen. Zu unterscheiden sind dabei drei Ebenen: eine sprachliche, kognitive und neuronale.

Die sprachliche Ebene betrifft die Wahl eines Ausdrucks, etwa »halb volles Glas« versus »halb leeres Glas«, sowie seine Bedeutung jenseits seiner konkreten Verwendung, also im Grunde das, was wir zu dem Ausdruck im Duden nachlesen können. Auf der kognitiven, also geistig-begrifflichen Ebene wird das (Hintergrund-)Wissen aktiviert, das relevant für das Verstehen des gewählten Ausdrucks in seinem konkreten Zusammenhang ist. Man stelle sich etwa eine Situation vor, in der ein aufmerksamer Gastgeber die Weingläser seiner Gäste auffüllen möchte. Ein Glas, das schon halb leer ist, lädt dazu ein, aufgefüllt zu werden, ein Glas, das noch halb voll ist, weniger. Kognitives Framing hat also konkrete Auswirkungen auf das Verstehen eines sprachlichen Ausdrucks und legt damit auch mögliche Anschlusshandlungen nahe.

Aufgrund wiederkehrender Erfahrungen bilden sich allmählich neuronale Muster heraus, ähnlich wie Trampelpfade auf einer Wiese

Die neuronale Ebene betrifft schließlich Funktionen und Prozesse des Gehirns, so etwa Gedächtnisleistungen, die in Gestalt von neuronalen Aktivitätsmustern wirksam werden. Sie bilden gewissermaßen das materiale Gegenstück von geistig-begrifflichen Wissensrahmungen. Beim Verstehen eines Bewegungsausdrucks (»jemandem das Glas reichen«, »Fahrrad fahren« et cetera) sind verschiedene Gehirnareale beteiligt, auch solche, die bei der Tätigkeit (beispielsweise des Fahrradfahrens) selbst aktiviert werden. Aufgrund wiederkehrender Erfahrungen bilden sich allmählich neuronale Muster heraus, ähnlich wie Trampelpfade auf einer Wiese.

Welche Person stellen Sie sich vor, wenn im Zug zwei Sitzreihen vor Ihnen jemand »Diese Bullenschweine!« sagt? Einen smarten Mann mit Anzug und Krawatte?

Auf allen Ebenen sind Framing-Prozesse wesentlich beteiligt, meist ohne dass wir je davon Kenntnis nehmen. Denn Wissensrahmungen entziehen sich zu einem großen Teil unserem bewussten Erleben. Was erwarten Sie, wenn Sie eine Haustüre öffnen? Der Anblick einer Toilette wäre überraschend - und würde unsere Erwartungen und Unterstellungen nicht erfüllen. Welche Person stellen Sie sich vor, wenn im Zug zwei Sitzreihen vor Ihnen jemand »Diese Bullenschweine!« sagt? Einen smarten Mann mit Anzug und Krawatte? Nein, dieser würde Ihren Rahmen sprengen. Und: Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie das Wort »Heuschrecke« hören oder lesen? Ich komme darauf zurück.

Im Ergebnis lassen uns Framing-Prozesse die Welt so erscheinen, wie sie scheinbar natürlich ist. Aber das täuscht. Was ist, wenn sich hinter der vermeintlichen Haustür ein Garten befindet? Und wenn sich wirklich zwei Reihen vor Ihnen ein gut gekleideter älterer Herr erhebt? Durch Framing erst werden unsere Sinneseindrücke und auch unsere nicht-sinnlichen Erfahrungen, etwa die schmerzvolle Trennung nach einer Liebesbeziehung, sinnvoll und (be-)greifbar.

Indem Framing unsere visuelle Wahrnehmung steuert, macht es aus bedeutungslosen, scheinbar strukturlosen, bisweilen chaotisch anmutenden Eindrücken ein sinnvolles Ganzes. Wir alle kennen sogenannte Vexier- beziehungsweise Kippbilder : Was wir sehen, hängt von der eingenommenen Perspektive ab, so etwa die Rubin'sche Vase, die sich bei einer vertauschten Vordergrund-/Hintergrund-Struktur zu zwei Gesichtssilhouetten verwandelt. Das Bild bleibt dasselbe, sein Gehalt ist aber das Ergebnis unserer Rahmung: eine Konstruktion des Verstandes. Wir nehmen die visuellen Daten als etwas wahr. Dazu müssen wir sie rahmen.

Es geht auch noch abstrakter: Man nehme einen Doppelpunkt, einen Querstrich und eine runde schließende Klammer – fertig ist das lachende Gesicht :-) Noch vor zwei Jahrzehnten dürfte es schwer vermittelbar gewesen sein, dass ein Semikolon gar ein zwinkerndes Augenpaar symbolisiert. Wir verstehen das Schriftzeichen als Stellvertreter für etwas, und zwar aufgrund einer sehr abstrakten Ähnlichkeit und einer Konvention bzw. Regel, die wir gelernt haben.

Framing ist schließlich nicht weniger bei automatisierten Körperbewegungen am Werk. Das Schalten beim Autofahren liegt unterhalb unserer Bewusstseinsschwelle; diese wird erst überschritten, wenn der Gang hakt oder der Motor aufheult. Dabei handelt es sich beim Schalten durchaus um eine komplexe und anspruchsvolle Tätigkeit. Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten (kläglichen?) Versuche?

Sprache als Waffe

Tatsächlich erscheint uns die Welt so, wie sie »ist«, nur durch unser eigenes geistig-mentales Zutun. Und meist merken wir nichts davon. Sogar beim Lesen. Selbst Wortsalat können wir entziffern.

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Die Konstruktionsfähigkeit unseres Geistes ist keine neue wissenschaftliche Erkenntnis, sondern bereits in Immanuel Kants transzendentaler Erkenntnistheorie angelegt, die nach den Bedingungen der Möglichkeit menschlicher Erkenntnis fragt. Michel Foucault hat dies bekanntlich historisch gewendet, wenn er in seiner »Archäologie des Wissens« die historischen Bedingungen möglicher Erkenntnis zum primären Gegenstand der Diskursanalyse erhebt. Der kognitive Linguist George Lakoff und der Philosoph Mark Johnson sowie ForscherInnen wie Benjamin Bergen, Lera Boroditsky und Teenie Matlock ziehen Befunde der modernen Kognitionswissenschaften mit ein und untersuchen Framing-Prozesse auch auf der neuronalen Ebene.

Framing ist nicht nur interessant und bedeutsam für Wissensanalysen. Framing ist vor allem auch ein mächtiges Instrument der strategischen und interessegeleiteten politischen Kommunikation. Zur Illustration sollen hier einige Beispiele aus der eigenen Forschung zu kognitivem Framing herausgegriffen werden.

Die bislang erwähnten Fälle sind harmlos. Framing kann aber auch Spuren anderer Art hinterlassen. Es kann politisches Denken steuern und politische Handlungen beeinflussen. Es kann als rhetorische Waffe eingesetzt werden, um den politischen Gegner niederzustrecken. Es kann uns einen Gedanken und eine Sichtweise aufzwingen. So auch hier, wenn ich »Politik« als einen »Krieg« beschreibe. Folgt man dieser Analogie und versteht politische Handlungen als verbrecherische Handlungen, ist es schon zu spät. Dann gibt es kein Zurück mehr, und die Person, die jemanden politisch »erledigt« oder »niederstreckt«, wird automatisch als Täter begriffen, der sich gewalttätig an seinem politischen Gegner vergeht – indem er ihn erschießt. Dieses Szenario ist keineswegs absurd. Es sagt viel darüber aus, wie wir uns ein Bild von der Welt der Politik machen. In dem Ausdruck »jemanden politisch erledigen« findet sich ein sprachliches Relikt des metaphorischen Verständnisses von Politik als Krieg. Und es gibt viele mehr. Dass Krieg Politik mit anderen Mitteln sei, ist bereits durch Carl von Clausewitz vor knapp 200 Jahren sprichwörtlich geworden.

Politisches Framing

Eine Kostprobe aus der jüngeren Zeit: Betreuungsgeld. Dieser Ausdruck wurde von der CDU/CSU-Fraktion eingeführt zur Bezeichnung einer – damals geplanten, inzwischen realisierten, aber immer noch kontrovers diskutierten – Sozialleistung, die jene Familien finanziell unterstützen soll, die ihre Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr nicht in einer Kindertagestätte oder ähnlichem betreuen lassen. Nun könnte man meinen, der Ausdruck »Betreuungsgeld« rahme den zu bezeichnenden Sachverhalt angemessen oder gar wertneutral. Dass dies schon bei sehr viel einfacheren Ausdrücken, die Gegenstände unserer sinnlichen Wahrnehmung benennen, mitnichten der Fall ist (man denke an »halb volles« und »halb leeres Glas«), lässt eine grundsätzliche Skepsis aufkommen. Werden Eltern dafür bezahlt, dass sie Betreuer ihrer eigenen Kinder sind? Handelt es sich dabei um eine berufsähnliche Tätigkeit, vergleichbar mit der Tätigkeit von ErzieherInnen in einer Kindertagesstätte?

Dass durch die Wahl des Ausdrucks »Betreuungsgeld« eine – auch ideologische – Perspektive eingenommen wird, machen alternative Begriffsrahmungen deutlich. So wählt die SPD (und in der Folge auch andere politische Parteien) den Ausdruck »Herdprämie«. Dieser ist zweifellos wertend: Jemand wird dafür finanziell belohnt, dass sie oder er am Herd steht. Zugleich rahmt er einen nicht unwahrscheinlichen Sachverhalt, dass nämlich die BezieherInnen dieser Sozialleistung für ihre Arbeit im Haushalt bezahlt werden und deshalb keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen (können).

»Betreuungsgeld« und »Herdprämie« sind zwei mögliche Rahmungen. Wie alle Wörter repräsentieren sie keineswegs das, was sie bezeichnen. Sie sind vielmehr Anweisungen dafür, wie das Bezeichnete zu rahmen ist.

Warum wir die Welt so rahmen, wie wir sie rahmen

Zurück zu dem kleinen Assoziationsexperiment. Was kam Ihnen in den Sinn, als Sie den Ausdruck »Heuschrecken« gelesen haben? Kognition findet in den Köpfen statt, und in die kann man bekanntlich nicht hineinsehen, es lassen sich aber durchaus begründete Vermutungen darüber anstellen, woran Sie gedacht haben (und vielleicht immer noch denken). Was Sie denken, hängt nämlich damit zusammen, was Sie gelernt haben – das heißt: welches Framing prägend war.

Als der Verfasser vor einigen Jahren mit Studierenden in Basel und Berlin zeitgleich dasselbe Assoziationsexperiment durchgeführt habe, hat knapp ein Viertel der Schweizer »Plage« genannt, gefolgt von »Insekt« und »springen«. In Deutschland haben 70 Prozent der Befragten mit »Heuschrecke« als erstes »Finanzinvestor« assoziiert. Finanzinvestoren als Heuschrecken – dieses Framing ist ein Erfolg von politisch-strategischer Kommunikation. Die Gleichsetzung spitzt zu, schafft klare Fronten und provoziert – auch politische Konsequenzen und Handlungen. Auch wenn die Erinnerung an den Urheber der Metapher immer stärker verblasst, das Framing wird bleiben. An Müntefering müssen wir uns nicht erinnern. Aber daran, dass internationale Finanzinvestoren der heimischen Wirtschaft schaden, werden wir uns noch lange erinnern. Ob wir wollen oder nicht. – Framing matters.

Fußnoten

  1. Dieser Schritt wird auch als »Konzeptualisierung« bezeichnet.
  2. Bei diesen Bildern, die gleichzeitig zwei Dinge darstellen bzw. je nach Sichtweise verschieden interpretiert werden, kommt es zu spontanen Wahrnehmungswechseln.
  3. Vgl. Kant, Immanuel: Kritik an der reinen Vernunft, Riga 1781.
  4. Vgl. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, Paris 1969.
  5. Vgl. etwa Lakoff, George; Johnson, Mark: Philosophy in the flesh, New York 1999; Lupyan, Gary; Bergen, Benjamin: How language programs the mind, im Erscheinen; Thibodeau, Paul; Boroditsky, Lera: Natural Language Metaphors Covertly Influence Reasoning, in: PLOS ONE, (8)2013, URL: http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0052961, 27.07.2015; Matlock, Teenie: Framing political messages with grammar and metaphor, in: American Scientist, Research Triangle Park, North Carolina (100)2012, H. 6.
  6. Vgl. Clausewitz, Carl von: Vom Kriege, Berlin 1932, Bd. 1, Kap. 1, Abs. 24.
  7. Vgl. auch die ausführliche Studien zur Metapher Finanzinvestoren als Heuschrecken.- Ziem, Alexander: Frames und sprachliches Wissen, Berlin/New York 2008, Kap. VII.

Autor:innen

Forschungsschwerpunkte
Diskurs- und Gesprächslinguistik
Frames und Framing im öffentlichen Sprachgebrauch
Konstruktionsgrammatik

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